Während, im Gefolge der allgemeinen Neutralisierung allen Geistes zu bloßer Kultur Seil den letzten hundertfünfzig Jahren, der Widerspruch der traditionellen Offenbarungsreligion zur Erkenntnis kaum mehr gefühlt wird, sondern beide als Sparten des Kulturbetriebes nebeneinander existieren, etwa wie in Magazinen die Rubrikentitel Medizin, Radio, Fernsehen, Religion aufeinanderfolgen, ist die Zumutung der Offenbarungsreligion ans Bewußtsein seit der Aufklärung nicht zurückgegangen; sondern ins Ungemessene gestiegen. Daß keiner mehr davon redet, rührt daher, daß man beides überhaupt nicht mehr zusammenbringen kann. Versuche, kritische Ergebnisse der modernen Wissenschaft in Religion überzuführen, wie sie besonders am Rande der Quantenphysik gedeihen, sind kurzschlüssig. Dabei ist nicht bloß an den geozentrischen und anthropozentrischen Charakter der tradierten großen Religionen zu denken, der zu dem gegenwärtigen Stand der Kosmologie im krassesten Gegensatz steht – wobei man gern diese Kraßheit, nämlich das Lächerliche einer Konfrontation der religiösen Lehre mit den naturwissenschaftlichen Befunden überhaupt, dazu benutzt, die Konfrontation selbst, um ihrer Primitivität und Grobheit willen, lä cherlich zu machen. Einmal hielt es die Religion, mit gutem Grund, nicht so fein. Sie bestand auf ihrer Wahrheit auch im kosmologischen Sinn, weil sie wußte, daß ihr Anspruch auf jene vom stofflich-konkreten Inhalt nicht abgespalten werden kann, ohne Schaden zu nehmen. Sobald sie ihren Sachgehalt preisgibt, droht sie zur bloßen Symbolik sich zu verflüchtigen, und das geht dem Wahrheitsanspruch ans Leben. Entscheidender aber ist vielleicht der Bruch zwischen dem sozialen Modell der großen Religionen und der Gesellschaft heute. Sie waren an durchsichtigen Verhältnissen der »primary community«, allenfalls an der einfachen Warenwirtschaft gebildet. Ein jüdischer Dichter hat einmal mit Recht geschrieben, im Judentum und im Christentum herrsche Dorfluft. Davon läßt nicht sich absehen, ohne daß dem religiösen Lehrgehalt durch Umdeutung Gewalt widerführe: das Christentum ist nicht gleich nahe zu allen Zeiten, die Menschen werden nicht zeitlos von dem betroffen, was sie einmal als gute Botschaft vernahmen. Der Begriff des täglichen Brotes, erzeugt aus der Erfahrung des Mangels in einem Zustand ungewisser und unzureichender materieller Produktion, läßt sich nicht einfach übertragen auf die Welt der Brotfabriken und der Überproduktion, in der die Hungersnöte Naturkatastrophen der Gesellschaft sind und eben keine der Natur. Oder: der Begriff des Nächsten bezieht sich auf Gruppen, in denen man sich von Angesicht zu Angesicht kennt. Die Hilfe für den Nächsten, so dringlich sie immer wieder in der von jenen Naturkatastrophen der Gesellschaft verheerten Welt bleibt, ist unbeträchtlich gegenüber dem Hinausgehen der Praxis über jede bloße Unmittelbarkeit menschlicher Beziehungen, gegenüber einer Veränderung der Welt, die einmal endlich den gesellschaftlichen Naturkatastrophen Einhalt geböte. Zöge man aber Worte wie jene vom Evangelium als irrelevant ab und traute sich zu, man bewahrte die geoffenbarten Lehren und spräche sie gleichwohl so aus, wie sie hic et nunc zu verstehen seien, so geriete man in eine schlechte Alternative. Entweder müßte man sie den veränderten Zeitläuften anpassen; das wäre mit der Autorität von Offenbarung unvereinbar. Oder man präsentierte die gegenwärtige Realität mit Forderungen, die unerfüllbar sind oder an ihr Wesentliches, das reale Leiden der Menschen, nicht mehr heranreichen. Würde man aber schlechterdings von all jenen konkreten, gesellschaftlich-historisch vermittelten Bestimmungen absehen und buchstäblich dem Kierkegaardschen Diktum gehorchen, das Christentum sei nichts anderes als ein NB, das Nota bene, daß einmal Gott Mensch geworden wäre, ohne daß jener Augenblick als solcher, nämlich als auch seinerseits konkret geschichtlicher, ins Bewußtsein träte, so zerginge im Namen parado xer Reinheit die Offenbarungsreligion ins ganz Unbestimmte, in ein Nichts, das von ihrer Liquidation kaum sich unterscheiden ließe. Was mehr wäre als dies Nichts, führte sogleich zum Unlösbaren, und es wäre ein bloßer Trick des eingesperrten Bewußtseins, Unlösbarkeit selber, das Scheitern des endlichen Menschen, als religiöse Kategorie zu verklären, während sie die gegenwärtige Ohnmacht der religiösen Kategorien bezeugt. Darum sehe ich keine andere Möglichkeit als äußerste Askese jeglichem Offenbarungsglauben gegenüber, äußerste Treue zum Bilderverbot, weit über das hinaus, was es einmal an Ort und Stelle meinte.
Fußnoten
1 Walter Benjamin, Schriften, hrsg. von Theodor W. Adorno und Gretel Adorno unter Mitwirkung von Friedrich Podszus, Frankfurt a.M. 1955, Bd. 1, S. 494.
Th.W. Adorno, „ Vernunft und Offenbarung“, in: ders., Kulturkritik und Gesellschaft II. Eingriff · Stichworte · Anhang, Gesammelte Schriften 10/2, Hrsg. von Rolf Tiedemann, Fankfurt am Main 1977 S. 608-616.
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