HWPh

Kulturphilosophie (1)

Sur l´eau 2008. 6. 2. 05:20

     B. Kulturphilosophie. – 1. Geschichtliches. – Blickt man auf die wissenschaftlich reife Gestalt der K.ph., so ist sie weder alt noch auch alt geworden. Als «Mode»-philosophie der «goldenen zwanziger Jahre» des 20. Jh. verstand sie sich als die «Philosophie im Ganzen» und nicht nur als eine philosophische Disziplin.

    Ohne die Schwierigkeiten, die das industriestädtische Leben zu spüren bekam, hätte sich Philosophie nicht als K.ph. verstehen können. Zu ihrem Selbstverständnis trug ihre wissenschaftsgeschichtliche Lage bei. Seit der Mitte des 19. Jh. ging die thematische Besetzung des vorfind-, beobacht- und feststellbaren Seienden seitens der Einzelwissenschaften so umgreifend vor sich, daß die Philosophie «in keinem Teil der Objektwirklichkeit auch nur das kleinste Plätzchen für eine spezifische philosophische Problemstellung und Bearbeitung frei» fand [1]. Aus dieser Verlegenheit führte ein Weg in die phänomenologische Analytik des Subjekts in seiner Subjektivität und seiner «natürlichen» Welt. Ihn ging E. HUSSERL zur Rettung der «Philosophie als strenger Wissenschaft» [2]. Das Programm einer anderen «überzeitlichen» Philosophie-Idee entwarf H. RICKERT: Einzelwissenschaftliche Erkenntnis dessen, was ist, ist noch keine Erkenntnis dessen, was es seinem Sinn und Wert nach bedeutet. Also bleibt der Philosophie zu lehren, «was wir mit einem nicht sehr bezeichnenden, aber schwer zu entbehrenden Worte ‹Weltanschauung› nennen. Nur so läßt sie sich überhaupt gegen die Einzelwissenschaften abgrenzen» [3]. Die Anführer des südwestdeutschen Neukantianismus dachten an eine wertbezogene Weltanschauung, welche allein «Richt- und Zielpunkte auch für unsere Stellungnahme zur Welt, für unser Wollen und Handeln» garantierte [4].

    Das Material zur Erkenntnis ideell geltender Werte lieferten ihr die historischen K.-Wissenschaften. Die methodische Entfaltung der Wert- als K.ph. war nur möglich in der Reflexion auf die Historiker der Deutschen Historischen Schule und ihrer Nachfolger. Deren kulturgeschichtliches Schrifttum vermochte zu zeigen, «worum» es auch früher schon ging und «wofür» man sich immer schon einsetzte. Die K.ph. der südwestdeutschen Schule stand in Verbindung mit den historischen K.-Wissenschaften. Die Welt der K. als Inbegriff der Werte realisierenden K.-Güter war für sie die heile Welt [5]. Man fragte sich aber auch, ob der ungeheure Drang nach Mehr an ausgeformter K. dem Einzelnen nicht glücklose Unzufriedenheit einbrächte [6]. Es wäre falsch, der «klassischen» K.ph. eine bürgerlich zufriedene Bewußtseinsstellung zuordnen zu wollen. Sie hat vielmehr das große Verdienst, daß sie auch die K.-Kritik ernst genommen hat.

    Unter R. Euckens Einfluß bürgerte sich der Terminus ‹K.ph.› schnell ein. Den Titel selbst prägte 1900 L. STEIN [7]. R. EUCKEN begrüßte in der dritten Auflage der ‹Grundbegriffe der Gegenwart›, die 1904 unter dem Titel ‹Geistige Strömungen der Gegenwart› erschien, die neuen Versuche der K.ph. Inzwischen war auch das Adjektiv ‹kulturphilosophisch› gebräuchlich geworden [8]. D. RÖSGEN nennt K. den Inbegriff «verinnerlichender Daseinsakte» [9]. E. GRISEBACH stellte 1910 die kulturphilosophische Arbeit als die besondere Denkweise der damaligen Gegenwart heraus [10]. Ebenfalls 1910 er schien der erste Band der Zeitschrift ‹Logos› mit dem Untertitel ‹Internationale Zeitschrift für Philosophie der K.›, die bis 1933 erschien und deren Nachfolger die ‹Zeitschrift für deutsche K.ph.› war (1933–44). H. RICKERT eröffnete den ersten Logos-Band mit der programmatischen Abhandlung ‹Vom Begriff der Philosophie›. Unter den mitwirkenden Herausgebern des ‹Logos› war G. SIMMEL [11]. War man schon gewöhnt, von «ethischer», «religiöser», «künstlerischer» K. zu sprechen, so sprach Simmel nun auch von «philosophischer» K. Unter diesem Titel veröffentlichte er 1911 in erster Auflage u.a. Essays über die Mode, die Persönlichkeit Gottes und die weibliche K. [12].

    Der Erste Weltkrieg verstärkte das kulturphilosophische Interesse. O. SPENGLERS Lehre vom «Schicksal der K.» im ersten Band seines ‹Untergang des Abendlandes› war zwar schon vor Kriegsausbruch abgeschlossen, wurde aber erst 1918 veröffentlicht. TH. LITT schrieb 1919 ‹Individuum und Gesellschaft› mit dem Untertitel ‹Grundlegung einer K.ph.›. 1934 erlangte die deutsche K.ph. ihre philosophische Handbuchreife [13].

 

    Anmerkungen.

 

[1] H. RICKERT: Vom Begriff der Philos. Logos 1 (1910/11) 13.

 

[2] E. HUSSERL: Philos. als strenge Wiss. Logos 1 (1910/11) 289ff.

 

[3] RICKERT, a.a.O. [1] 2.

 

[4] 6.

 

[5] W. WINDELBAND: K.ph. und transzendentaler Idealismus, in: Präludien 2 (51915) 293f.

 

[6] R. EUCKEN: Geistige Strömungen der Gegenwart (41909) 381f.

 

[7] L. STEIN: An der Wende des Jh. Versuche einer K.ph. (1900).

 

[8] H. LESER: Das Wahrheitsproblem unter kulturphilos. Gesichtspunkt (1901); Über die Möglichkeit der Betrachtung von oben und unten in der K.ph. (1905).

 

[9] D. RÖSGEN: Ideen zur Philos. der K. (1910).

 

[10] E. GRISEBACH: Kulturphilos. Arbeit der Gegenwart. Eine synthet. Darstellung ihrer besonderen Denkweisen (1914).

 

[11] K. GASSEN: Georg Simmel-Bibliogr., in: Buch des Dankes an Georg Simmel, hg. K. GASSEN/M. LANDMANN (1958) 346ff.

 

[12] G. SIMMEL: Philos. K. (21919).

 

[13] A. DEMPF: K.ph., in: Hb. der Philos., hg. A. BAEUMKER/M. SCHRÖTER 4 (1934).



W. PERPEET

 

 

J. Ritter / K. Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Darmstadt 1976, S. 1310-1314.

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