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Kultur

Sur l´eau 2008. 6. 2. 05:03

Kultur, Kulturphilosophie. – A. Zur Wortgeschichte von ‹Kultur›. – ‹K.› ist Lehnwort des lateinischen ‹cultura›, Ackerbau. Metaphorische Wendungen wie ‹animi culti›, ‹cultura animi›, ‹tempora cultiora›, ‹cultus litterarum› [1] wurden seit CICEROS Einschätzung der philosophia als «cultura animi» [2] geläufig. – Aus stoischen Mahnungen zur Beackerung und Pflege des Geistes hörten frühchristliche und mittelalterliche Schriftsteller den heidnischen Frömmigkeitston heraus. Sie gebrauchten ‹cultura› entweder wieder im landwirtschaftlichen Sinne oder in der Bedeutung von «Verehrung» (cultura Christi, cultura Christianae religionis, cultura dolorum) [3]. – Von einer «ingenii cultura» und «anima honestis artibus excolenda» sprach man erst wieder in der humanistischen Cicero- Renaissance des FILIPPO BERVALDO, ERASMUS und THOMAS MORUS [4]. – Aber immer noch erforderte ‹cultura› den Genetiv, auch bei FR. BACON, der statt «cultura animi» auch «georgica animi» sagte und die «Georgik des Geistes» zur Ethik zählte [5].

    ‹Cultura› absolut zu setzen, wagte der Naturrechtslehrer S. PUFENDORF. Er begriff den Naturzustand nicht mehr theologisch als den paradiesischen Urzustand Adams, sondern – in Anlehnung an HOBBES – als einen glücklosen Zustand außerhalb der Gesellschaft. Diesem so verstandenen Status naturalis setzte  er den Status der cultura entgegen [6]. – So erhielt der von der klassischen K.-Philosophie (K.ph.) problematisierte K.-Begriff das ergologische wie soziative Sinnmoment. Als Gegenbegriff zur werklosen Natur war er nun der individuellen Sphäre des Einzelnen ent- und auf das Gruppenleben bezogen worden [6a]. Aber erst bei HERDER findet sich der moderne K.-Begriff. Er fügte ihm die Historizität als abschließendes drittes Sinnmoment in der Form bei, daß er ‹K.› und ‹kultiviert› als historische Beschreibungsworte gebrauchte: Er sprach von der zunehmenden K. eines Volkes, von der K. als der Blüte seines Daseins [7]. Damit war K. begriffen als eine beginnende, sich abwandelnde, sich vollendende und auflösende Lebensgestalt und -form von Nationen, Völkern, Gemeinschaften [8]. Dieses ergologisch, soziativ und temporal aufgeladene Begriffswort ‹K.› machte die K.ph. zu ihrem Problemwort.

 

    Anmerkungen.

 

[1] J. NIEDERMANN: K. Werden und Wandlungen des Begriffs und seiner Ersatzbegriffe von Cicero bis Herder (1941) 20ff.; F. RAUHUT: Die Herkunft der Worte und Begriffe ‹K.›, ‹Zivilisation› und ‹Bildung›. German.-roman. Mschr. 34 (1953) 81.

 

[2] CICERO, Tusc. disp. II, 5.

 

[3] I. BAUR: Die Gesch. des Wortes ‹K.› und seiner Zusam mensetzungen (Diss. München 1951, Ms.) 13.

 

[4] NIEDERMANN, a.a.O. [1] 63f.

 

[5] FR. BACON, De augm. scient. VII, 1.

 

[6] S. PUFENDORF: Eris scandica (1686) 219.

 

[6a] E. HIRSCH: Der K.-Begriff. Dtsch. Vjschr. Lit.wiss. 3 (1925) 399; Gesch. der neueren evang. Theol. 1 (1960) 80.

 

[7] HERDERS Philos., hg. H. STEPHAN, in: Philos. Bibl. 112, 157. 161.

 

[8] Vgl. B. KOPP: Beitr. zur K.ph. der dtsch. Klassik. Eine Untersuch. im Zusammenhang mit dem Bedeutungswandel des Wortes ‹K.› (1974) 21.

 

 

J. Ritter / K. Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Darmstadt 1976, S. 1309-1310.

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