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개인, 개별성 (2)

Sur l´eau 2009. 1. 29. 21:59

Individuum, Individualität (2)

II. Hoch- und Spätscholastik. – Die Lehre der Hochscholastik von Begriff und Wesen des I. sowie über das Prinzip der Individuation werden im Rahmen oft umfassender philosophisch-theologischer Entwürfe entwickelt, deren Ziel es ist, die eigene Tradition in Konfrontation mit der arabisch-jüdischen Philosophie um das bekanntgewordene Gesamtwerk des Aristoteles mit seinem neuen Anspruch auf Rationalität zu bereichern. Auch im anstehenden Problem bilden die traditionellen Bestimmungen den gemeinsamen Ausgangspunkt, der etwa in den Definitionen vorliegt, die PETRUS HISPANUS in seinen wohl jedem Scholastiker von der Mitte des 13. bis zum 17. Jh. bekannten ‹Summulae Logicales› gibt. Hier werden sowohl Porphyrios' Definition: «I. ist, was allein von einem prädiziert wird», als auch die aristotelische Bestimmung wiederholt: «I.en heißen die ersten Substanzen» [1]. Damit ist der Unterschied einer logischen und ontologischen Bedeutung des Ausdrucks ‹I.› gegeben.

    Besonders WILHELM VON OCKHAM hat den logischen Sinn der Definition des Porphyrios herausgestellt. Da das «außer der Seele existierende Wesen (res), z.B. Sokrates und Platon ..., weder von einem noch von vielen prädiziert wird», ist diese Definition zu beziehen auf «ein Zeichen, das einem eigentümlich ist», oder auf einen «terminus discretus» (abgesondertes, von anderen unterschiedenes Prädikat), der auch «terminus singularis» genannt wird [2]. So gilt hier: «Accipitur individuum pro praedicabili quod de uno solo praedicatur» (‹I.› wird verstanden als prädizierbarer Ausdruck, der nur von einem ausgesagt wird) [3].

    Zwar faßt Ockham seine Lehre vom I., dessen allgemeine Bestimmung es sei, «der Zahl nach eine Sache und nicht viele» zu sein [4], derart, daß nach dieser allgemeinen Definition auch der universale Konzept ein I. ist, obwohl er natürlich nicht nach der engeren Bedeutung von I. «eine Sache außerhalb der Seele ist, die eine Sache und nicht viele und nicht Zeichen einer anderen ist» [5], aber in der Lehre über die ein I. bezeichnenden Ausdrücke herrscht in der Scholastik eine breite Übereinstimmung.

 

     Die wichtigsten singulären Ausdrücke sind die Eigennamen von Menschen, Tieren, Engeln, Quellen, Städten usw. Auch ein Demonstrativpronomen kann in Ausdrucken wie «dieser Mensch» oder «jener Esel» ein I., wie es bei ALBERTUS MAGNUS heißt, «zertifizieren» [6], wohingegen mit einem Ausdruck wie «irgendein Mensch» oder «ein gewisser Frosch» nicht ein «individuum certum», sondern nur ein «individuum vagum» vage und unbestimmt genannt wird [7].

    Wird ein I. nicht mit dem «einfachen» Eigennamen, sondern mit einem «komplexen» Ausdruck genannt und ausgesagt, kann das mitunter antonomastisch mit Ausdrücken wie «der Philosoph» geschehen, womit im 12. Jh. Boethius, dann Aristoteles gemeint war, aber die Regel sind umschreibende Ausdrücke (circumlocutio), die nach einer von Albertus Magnus schon Boethius zugeschriebenen Bestimmung das zu benennende I. dann eindeutig charakterisieren, wenn sie «Form, Figur, Verwandtschaft [parentela, öfters dann auch stirps, sanguis oder generatio im Sinne familiärer Herkunft], Eigennamen, Heimatort (patria), Zeit und Ort» angeben [8]. Ein verbreiteter Vers faßte das so zusammen: «Forma, figura, locus, tempus, cum nomine sanguis/Patria: sunt septem, quae non habet unus et alter» [9].

    Bemerkenswert bei dieser durchgängigen Lehre von der periphrastischen Benennung des I. sind allen falls die Beispiele. BOETHIUS hatte die abfällige Kennzeichnung des Ammonios wiederholt, aber Sokrates auch beschrieben als «den Sohn des Sophroniscus (wenn er der einzige war)»; ABAELARD umschrieb: «ein weißer, krausköpfiger gebildeter Mensch, der Sohn des Sophroniscus», während es bei CHAUVIN wieder heißt: «ein kahlköpfiger, krummnasiger, dickbauchiger Athener, der Sohn des Sophroniscus, mit Xanthippe verheiratet» [10].

    Die aristotelische ontologische Bedeutung von ‹I.› als erster Substanz stellt das auch von PETRUS HISPANUS [11] nicht verkannte Problem, ob nur die ersten Substanzen oder nicht auch die unselbständigen Akzidentien, z.B. das Sprechen des Sokrates mit dem ihm eigenen Timbre, individuell seien. Indem die Scholastik wie schon Boethius das bejahte, wobei die Frage nach dem Individuationsprinzip der Akzidentien kontrovers und weithin offen blieb [12], setzte sie ‹I.› als nicht auf die Gattung «Substanz» beschränktes, sondern als alle Gattungen umgreifendes, also transzendentales Prädikat an, obwohl man das vielleicht kaum ausdrücklich getan hat [13]. Wenn jedoch das I. als das bezeichnet wird, was «in sich ungeteilt und von anderen geteilt ist» – eine der Hochscholastik gemeinsame Bestimmung, die BONAVENTURA [14], THOMAS VON AQUIN [15], HEINRICH VON GENT [16] und DUNS SCOTUS [17] geben –, dann wird der Ausdruck ‹I.› im selben Sinn gebraucht wie der mit dem Begriff ‹Seiendes› (ens) konvertible Begriff ‹Eines› (unum). THOMAS VON AQUIN kann das Seiende unter dem Aspekt der Verschiedenheit von anderen freilich auch «aliud» (Anderes) nennen [18], gibt aber auch dieselbe Bestimmung für die Ausdrücke ‹Eines› und ‹I.› an [19].

    Wichtiger als für eine in der Scholastik ohnehin nicht durchgeführte vollständige («systematische») Aufstellung der transzendentalen Begriffe ist die Gleichsetzung des Begriffes ‹I.› mit dem Begriff ‹Eines› für die genauere Entfaltung des Begriffes der Individualität. Wenn nicht nur Sokrates, sondern auch sein Sprechen als Akzidens oder seine Hand als substantialer Teil individuell sind; wenn selbst eine abgeschlagene Hand zwar nicht mehr eine Hand, jedoch noch eine individuelle Sache bleibt, dann ist – wie die scotistische Lehre interpretiert worden ist [20] – «individuelle Einheit als ein transzendentales Attribut des realen Seienden» zu verstehen und dann hat, wie THOMAS lehrt [21], «ein jegliches Seiende gemäß demselben Sein und Individuation», ist also als Seiendes zugleich auch ein I.

    Daher verstand die Scholastik Individualität nicht als eine nur dem Wesen höherer Seienden zukommende Unteilbarkeit, sondern als die faktische Ungeteiltheit des Seienden in sich und als seine Verschieden heit von anderen, welche beiden Bedeutungen schon dem griechischen Wort τομος (unteilbar, ungeteilt) zukommen. Die Entscheidung für den weiten, alles Seiende umfassenden Begriff des I. führte jedoch nicht zur Preisgabe des engeren Begriffes der Individualität als wesensgemäßer Unteilbarkeit, weil mit Graden und Stufen der Seiendheit auch solche der Einheit und Individualität als offenkundig gegeben angenommen wurden.

    Da nämlich etwas um so wirklicher ist, je mehr und vielfältiger es wirken kann, Wirkfähigkeit bei materiellen Dingen aber an entsprechende Organe (Werkzeuge) gebunden ist, muß z.B. ein Kristall weniger seiend genannt werden als eine Pflanze, die fähig ist, sich zu ernähren, zu wachsen und sich zu vermehren; und diese ist ihrerseits unvollkommener, d.h. geringer an Seinsfülle und Wirklichkeit, als ein zu sinnlichem Wahrnehmen und Streben sowie zur Ortsveränderung fähiges Sinneswesen, dessen differenziertere Gliederung also gerade Ausdruck höherer Seiendheit, Einheit und Individualität ist [22]. «In noch speziellerer und vollkommenerer Weise findet sich das, was Einzelwesen (particulare) und I. besagt, in den Vernunftwesen, die Herrschaft über ihr Wirken haben, nicht lediglich, wie die anderen Wesen, bestimmt werden, sondern durch sich [in Selbstbestimmung] handeln» [23]. Während das Wirken der unfreien I.en durch ihre spezifische Natur geleitet wird, weshalb sie den Charakter eines «Instrumentes» oder Mittels haben und so «um der Arten willen sind», ist das freie I. nicht Werkzeug seiner Natur, sondern «Haupthandelnder», weshalb auch die göttliche Vorsehung sich um sie kümmert «um ihrer selbst willen, um das übrige aber ihretwegen» sowie um sie «nicht nur wegen ihrer Art, sondern hinsichtlich des I.» [24]. So bezeichnet der vernünftigen und freien I.en eigene Name ‹Person› eben «das, was am vollkommensten in der gesamten Natur ist» [25]. Daß Freiheit im Unterschied zu Willkür sich nur in Bindung an das geschichtlich Allgemeine der Sittlichkeit und des Rechtes verwirklicht, die naturhafte Individualität hier wie auch im Bereich des auf allgemeine Anerkennung zielenden Wissens also gerade auch im philosophischen Wortsinn «aufgehoben» werden muß, ist freilich in dieser Form erst ein Gedanke neuzeitlicher Philosophie.

    Der Scholastik war der engere Begriff des I., nach dem I.en Wesen sind, die nicht in dann «schon andere», d.h. in wesensverschiedene «Teile geteilt werden können», vor allem durch BOETHIUS vorgegeben [26]. Während es ihr unproblematisch erschien, nicht nur diesen Begriff des I. auf die heterogenen Ganzheiten in der ihnen eigenen höheren Ausprägung der Individualität anzuwenden, sondern auch die nur fak tisch ungeteilten homogenen Ganzheiten als I. anzusprechen (jeder Teil eines individuellen Tropfen Wassers ist Wasser, jeder Teil eines Pferdes aber kein Pferd [27]), wurde es nach der philosophisch von Descartes formulierten Kritik der neuzeitlichen Naturwissenschaften am traditionellen Substanzbegriff fraglich, schon in einem Stein trotz seiner Bestimmtheit durch räumliche und zeitliche Eigentümlichkeiten ein I. einer Art zu sehen: Kann er nicht, statt nur eine Stein-Substanz zu sein, eine Vielzahl uns unbekannter Substanzen (etwa von Molekülen, Atomen oder Atom-Teilchen) oder Teil einer uns unbekannten materiellen Substanz sein? Das mag erklären, weshalb der schon in der Spätantike ausgeprägte Begriff des I., nach der es, wie auch wieder W. T. KRUG formuliert, ein solches «einzelnes Ding» ist, das, «wenn es auch geteilt werden kann, doch nicht geteilt werden darf, wofern es nicht aufhören soll, das zu sein, was es bisher war», ebenfalls in der Neuzeit und bis in die Gegenwart hinein lebendig blieb, wie es Lexica des 17. bis 20. Jh. ausweisen [28].

    Andererseits bleibt aber auch dann, wenn man es etwa mit E. BOUTROUX ablehnt, einen Kristall wegen seiner Teilbarkeit in gleiche Kristalle ‹I.› zu nennen [29], und wenn man mit E. RABAUD nur «einen lebenden Körper, der anatomisch isoliert [von anderen getrennt] und funktionell autonom ist», ‹I.› nennen will [30], das scholastische Problem bestehen, Grade und Stufen der Individualität anzunehmen; denn während ein individueller Wurm, die berühmten Seeigeleier und auch eine individuelle menschliche Zygote bis zum 14. Tag, werden sie geteilt, als zwei oder mehrere I.en weiterleben können, sind höhere Organismen oder ihre Keimlinge auf höherer Entwicklungsstufe in dieser Weise nicht mehr teilbar, also von höherer Individualität. Der Vorschlag, hier einen «anthropologischen I.-Begriff», dem gemäß «ein I. als schlechthin unteilbar» definiert wird, so daß «eine trotzdem einsetzende Teilung als letal ... betrachtet werden muß», von einem «biologischen Begriff des I.» als «Organismus» abzuheben [31], führt jedoch kaum weiter, weil nicht nur Menschen, sondern alle höheren Organismen in solcher Weise nicht mehr zerteilt werden können, ohne ihre Wesensart zu verlieren. Zwar kann man auch von jenem scholastischen Begriff des I. her, wonach «ein I. nicht angelegt und fähig ist, in vielen zu sein» (aliquid dicitur i. ex hoc, quod non est natum esse in multis [32]), das Ende der Fähigkeit zur Mehrlingsbildung als ein wichtiges Stadium der Individuation eines sich entwickelnden Keimlings ansehen, wie es ja selbst in der jüngsten Rechtsprechung der BRD geschieht, aber im Sinne der gesamtscholastischen Lehre von den mit der spezifischen Wesensart gegebenen Graden der Indivi dualität und von der Sukzessivbeseelung des Foetus ist es verfehlt und offenkundig falsch, einen menschlichen Keimling wegen Erreichung dieses Stadiums schon als Menschen anzusehen; denn – so erklärt THOMAS VON AQUIN–: «Wenn [in der Entwicklung des Embryos noch] kein [menschliches] Sinneswesen vorliegt [und ohne aktuale Gehirnfunktionen kann es keine Sinnesempfindungen geben], ist kein Mensch» (si non est animal, non est homo) [33]. Dementsprechend heißt es auch von der dem Menschenwesen eigenen Individuation: «Die der menschlichen Natur entsprechende Individuation ist die Personalität» (individuatio autem conveniens humanae naturae est personalitas) [34], wobei die Personalität nach Thomas erst mit der zum Abschluß der Zeugung (Embryonalentwicklung) hervorgebrachten individuellen Vernunftsubstanz gegeben ist [35].

    Mit der in Spätantike und Mittelalter nahezu selbstverständlichen Annahme, es gebe außer den der Materie wesentlich verbundenen, ihr inkarnierten Vernunftwesen auch völlig immaterielle Vernunftwesen oder «reine» Geister, war die Aufgabe gestellt, eine noch wesentlich höhere Ausprägung von Individualität zu denken als die der Menschen. Das geschieht vor allem in der von AVICENNA übernommenen thomistischen Eigenlehre, bei reinen Geistern gebe es so viele Individuen wie Arten (quot-quot sunt ibi indivi dua, tot sunt species) [36], jedes I. sei also eine Art für sich und von den anderen artmäßig verschieden wie etwa Mensch und Meise. Darüber hinaus sind die reinen Geister nach Thomas aufgrundihres Wesens im Sinne von Leibniz «fensterlose Monaden», nur auf Gott hin geöffnet, so daß sie auch miteinander nur über Gott kommunizieren («angeli loquuntur telephonando supra Deum») [37]. Deshalb stehen sie kraft ihrer völlig autarken Natur auch jenseits von Moralität und Recht: Erst die neue und umfassende Gemeinsamkeit stiftende göttliche Offenbarung und Selbstmitteilung fordert ihre personale Entscheidung und eine sie weiter individuierende freie Selbstbestimmung, die außerhalb der Zeit erfolgend einmalig und unwiderruflich ist [38].

    Im höchsten Maße individuell, schlechthin unteilbar und zuhöchst einfach ist Gott als das selbständige Sein (esse subsistens), womit nach Thomas sein individuelles Wesen ausgesagt wird [39]. Da das göttliche Sein sich aber als Erkennen und schenkende Liebe selbst in die trinitarischen Seinsweisen des sagenden Erkennendseins (Vater), des ausgesagten Erkanntseins (Sohn), und des Gehaucht- oder Geschenktseins (Hl. Geist) differenziert, wird das numerisch eine, individuelle göttliche Sein von drei göttlichen Personen vollzogen, die, nur durch relationale Gegensätze verschieden, in dieser Verschiedenheit aber auch je individuell sind [40]. Weil das individuelle göttliche Sein zwar nicht aufgeteilt, jedoch in den innergöttlichen Hervorgängen den mit ihm identischen Personen «mitgeteilt» werden kann, wurde in der Scholastik auch jene Bestimmung der Individualität der göttlichen Personen akzeptiert, die HUGO VON ST. VICTOR gegeben hatte: Person, von Gott ausgesagt, sei die unmitteilbare Existenz(weise) der göttlichen Natur (divinae naturae incommunicabilis existentia) [41].

    Kontrovers in diesem Fragenkreis blieb vor allem das schon von Aristoteles angeschnittene Problem des Individuationsprinzips ð (s.d.), das AVICENNA der Scholastik vorgibt mit der Frage nach dem, «wodurch ein I. in seiner Individualität konstituiert und besondert wird» (id quo constituitur et discernitur individuum in sua individualitate) [42]. Zu den bedeutendsten Problemlösungen der Scholastik, die Thomas von Aquin und Duns Scotus gegeben haben, kann hier nur bemerkt werden, daß sie der transzendentalen Weite des Begriffs ‹I.› entsprechen. Denn während jedes endliche Seiende nach THOMAS durch sein individuelles Wesen, das den allgemeinen Seinsakt (esse commune; ð s.d.) nach seiner Eigenart vollzieht, individuiert wird, wobei dieses Wesen reine Form oder selbst aus einer allgemeinen spezifischen Wesensform und sie individuierender individueller Materie zusam mengesetzt ist [43], lehrt SCOTUS gemäß seiner Metaphysik, die sich vom intellektiven Erfassen gemeinsamer Naturen (natura communis; ð s.d.) her, statt vom verbalen Sinn von ‹sein› her, am Seiendsein als Etwassein orientiert, eine individuelle washeitliche Bestimmung der bis zur letzten Art determinierten allgemeinen Natur durch eine eigene Formalität (haecceitas; ð s.d.).

    Schon auf die neuzeitliche Problemgeschichte vorweisen dürfte die Rede von der «Würde des I.» (dignitas individui), die sich bei ROGER BACON findet, der damit ein «Anbeten des Allgemeinen» abwehrt [44]. Daß «ein Jedes sich über seine Einzigkeit freut», betont dann NIKOLAUS VON KUES, nach dem «Jegliches mit Jeglichem übereinstimmt und differiert», wobei «in den I.en das Allgemeine in Kontraktion verwirklicht ist» (individua sunt actu in quibus sunt contracte universa) [45]. Ähnlich wie schon Roger Bacon stellt PETRUS AUREOLI heraus, daß ein auf das allgemeine Wesen beschränktes Wissen die individuelle Sache nicht erreicht, wie sie wirklich ist: «Also ist es wertvoller (nobilius), eine individuierte und vorgewiesene Sache (rem ... demonstratam) zu erkennen, als sie nur in abstrakter und allgemeiner Weise zu erkennen» [46].

    Diese Hochschätzung des I. und seiner Erkenntnis wird Grundzug erst der für das anstehende Problem epochemachenden Philosophie von Leibniz, während die Schulphilosophie des 15./16. Jh. zwar umfangreiche Traktate darüber hervorbringt, wie die des JOHANNES a S. THOMA oder des F. SUÁREZ, aber kaum neue Perspektiven eröffnet [47]. Das gilt aber auch von der sich von der «Schule» lösenden neuzeitlichen Philosophie. Denn R. DESCARTES, der sich an den wenigen Stellen, wo er das Wort ‹I.› gebracht, meist auf die traditionellen Bestimmungen bezieht [48], behauptet die Individualität der denkenden Substanzen, «ohne zu sagen, worin das Prinzip ihrer Individuation besteht» [49]. TH. HOBBES behandelt zwar das Problem der Individualität in Anlehnung an die in der Schule üblichen Lösungsversuche, versteht Individualität aber als die Identität eines Körpers, die maßgeblich nach dem ihm zugelegten Namen zu beurteilen sei [50].

    In diesem Überblick über die Begriffsgeschichte von I. in der Scholastik konnte der ihr seit mindestens 50 Jahren zugeschriebene Satz: «individuum est ineffabile» [51], der auch nach der Hamburger Goethe- Ausgabe «bereits in der Philosophie des Mittelalters als Merksatz der Thomistenschule bekannt» war [52], nicht als scholastisches Lehrgut angeführt werden, weil sein Vorkommen noch nicht nachgewiesen und hier wahrscheinlich auch nicht nachweisbar ist, da nach der scholastischen Philosophie das I. für uns kennzeichnen» sei (... non definibilis tamen cognoscibilis et notificabilis), wie BONAVENTURA selbst von den göttlichen Personen sagt [53]. So bleibt es wohl einstweilen einfacher, systematisch von «dieser These der mittelalterlichen Philosophie» her als «Grund für die Unsagbarkeit des I. ... die Materie, ... unter praktischem Aspekt die Freiheit» herauszustellen [54], als jene These historisch zu belegen.

 

    Anmerkungen.

 

[1] PETRUS HISPANUS, Summulae logicales, hg. J. M. BOCHEŃSKI (1947) 2.09; 3.09.

 

[2] OCKHAM, S. logicae pars I, hg. PH. BÖHNER (1951) c. 19; vgl. JOHANNES BURIDANUS: In Met. 7, 18 (Paris 1588, ND 1964) fol. 103r.

 

[3] OCKHAM, Expos. aurea vol. 66 d, zit. nach L. BAUDRY: Lexique philos. de G. d'Ockham (Paris 1958) s.v.

 

[4] S. log. a.a.O. [2].

 

[5] ebda.

 

[6] ALBERTUS MAGNUS, Lib. de praedicabilibus tr. 4, c. 7. Opera, hg. JAMMY 1, 49.

 

[7] ebda.

 

[8] ebda.

 

[9] JOHANNES a S. THOMA, Cursus philos. Thomisticus I: Ars Logica 2, 11, 1, hg. REISER (Turin 1948) 1925.

 

[10] Vgl. AMMONIOS, In Porph. Is. 58, 3ff.; BOETHIUS, Comm. in Porph. 3; MPL 64, 114 a und c; ABAELARD, Dialectica, hg. DE RIJK (Assen 1956) 585; CHAUVIN, Lexicon philos. (21713, ND 1967) s.v.

 

[11] PETRUS HISPANUS, a.a.O. [1] 3.06.

 

[12] Vgl. zum Problem bei Thomas von Aquin: L. OEING- HANHOFF: Ens et unum convertuntur (1953) 97ff., bes. 105 Anm. 66 mit Stellenangaben.

 

[13] Vgl. jedoch die Formulierung «sicut transcendens et imbibitus in ipsis differentiis» bei JOHANNES a S. THOMA, a.a.O. [9] 2, 11, 2; 432.

 

[14] BONAVENTURA, III Sent. 5, 1, 2 arg. 2.

 

[15] THOMAS VON AQUIN, S. theol. (= ST) 1, 29, 4.

 

[16] HEINRICH VON GENT, Sum. Quaest. 2, a. 53, q. 2 (Paris 1520) fol. 62r.

 

[17] SCOTUS, Quaest. Met. 7, 13, 17.

 

[18] THOMAS, De ver. 1, 1.

 

[19] a.a.O. 3, 15; De an. 3; ST I, 29, 4.

 

[20] A. B. WOLTER: The transcendentals ... in the Met. of Duns Scotus (New York 1946) 106.

 

[21] THOMAS, De an. 1, 2.

 

[22] S. contra gent. (= ScG) 4, 1.

 

[23] ST I, 29, 1.

 

[24] ScG 3, 111ff.

 

[25] ST I, 29, 3.

 

[26] BOETHIUS, In Porph. dial. 1. MPL 64, 29.

 

[27] Vgl. Art. ð ‹Ganzes/Teil› II. Hist. Wb. Philos. (= HWP) 3, 5ff.

 

[28] Vgl. die Lexika s.v. von CHAUVIN, a.a.O. [10]; W. T. KRUG: Allg. Handwb. der philos. Wiss. 2 (1827); Dict. de la langue philos., hg. P. FOULQUIÉ (Paris 1962).

 

[29] E. BOUTROUX: De la contingence ..., zit. nach Dict. de la langue ... a.a.O.

 

[30] E. RABAUD, Phén. social et soc. anim. 24, zit. Dict. de la langue ... a.a.O. [28].

 

[31] Vgl. F. BÖCKLES Beitr. dazu in: Empfängnisverhütung aus Verantwortung, hg. R. KEPP/H. KÖSTER (1968) 41.

 

[32] THOMAS, In de causis 11 (235).

 

[33] a.a.O. 1 (11).

 

[34] ScG 4, 41.

 

[35] Vgl. Art. ð ‹Form/Materie› II, 3. HWP 2, 1003ff.

 

[36] THOMAS, De ente 4, hg. ROLAND-GOSSELIN (Paris 1934) dort auch Belege aus AVICENNA.

 

[37] Neuscholast. Adagium nach THOMAS, De ver. 11.

 

[38] Vgl. L. OEING-HANHOFF: Zur thomist. Freiheitslehre. Scholastik 31 (1956) bes. 169ff.

 

[39] Vgl. Gotteserkenntnis im Lichte der Vernunft ... nach Thomas, in: Thomas v. Aquin 1274/1974, hg. L. OEING- HANHOFF (1974) 110.

 

[40] Vgl. BONAVENTURA, I Sent. 25; THOMAS ST 1, 29 und Art. ‹Trinität›.

 

[41] HUGO VON ST. VICTOR, De Trin. 4, 22. MPL 196, 945.

 

[42] AVICENNA, Met. 5, 7 (Venedig 1508, ND 1961) fol. 90v b.

 

[43] Vgl. Art. ð ‹Form/Materie›. HWP 2, 978ff., bes. 983. 992ff. 998. 1001. 1005f.

 

[44] R. BACON, Opera inedita, hg. R. STEELE (Oxford o.J.) 2, 96.

 

[45] CUSANUS, Ven. sap. 22; Conj. 2, 3; Doct. ign. 2, 6; vgl. dazu insgesamt und bes. zu einer dem Cusaner zugesprochenen Lehre von einer «Unendlichkeit der I.» («individuorum infinitas») R. FALKENBERG: Grundzüge der Philos. des Nic. Cusanus (ND 1968) 34f.

 

[46] PETRUS AUREOLI, I Sent. 816 BC.

 

[47] JOHANNES a S. THOMA, a.a.O. [9] 1, 2, q. 9; Philos. nat. 3, 9; F. SUÁREZ, Disp. Met. 5.

 

[48] Vgl. G. LEWIS: L'individualité selon Descartes (Paris 1950) 5. 12 Anm. 19.

 

[49] M. GUEROULT: Descartes selon l'ordre ... 2 (Paris 1953) 326.

 

[50] TH. HOBBES, De corp. 11, 7; vgl. Art. ð ‹Form/Materie›. HWP 2, 1015f.

 

[51] Vgl. P. DESCOQS: Institutiones mét. 1 (Paris 1925) 32.

 

[52] J. W. GOETHE, Briefe, hg. K. R. MANDELKOW 1 (1962) 694.

 

[53] BONAVENTURA, I Sent. 25, 1, 2 ad 1.

 

[54] Hb. philos. Grundbegriffe, hg. H. KRINGS u.a. 2, 729. 734 s. v.

 

    Literaturhinweise. J. ASSENMACHER: Die Gesch. des Individuationsprinzips in der Schol. (1926). – ROLAND-GOSSELIN s. Anm. [36]. – G. MANSER: Das Wesen des Thomismus (Fribourg 31949). – L. OEING-HANHOFF s. Anm. [12]. – I. KLINGER: Das Prinzip der Individuation bei Thomas (1964). – K. C. CLATTERBAUGH: Individuation in the ontology of Duns Scotus. Francis. Stud. 32 (1972) 65–73.

 

L. OEING-HANHOFF

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