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개인, 개별성 (1)

Sur l´eau 2009. 1. 29. 21:57

Individuum, Individualität (1)

 

I. Antike und Frühscholastik. – Mit dem Wort τομα, das schon CICERO mit ‹individua› übersetzt [1], benennt DEMOKRIT die kleinsten, sinnlich nicht wahrnehmbaren, unendlich vielen «Elemente» [2], die neben dem «Leeren» als «Ursprünge des Ganzen» [3] angesehen werden. Während nun PLATON den individuellen Charakter dessen, was sich der dialektischen Dihairesis als vollbestimmtes Wesen erschließt (τομον εδος), nur nebenbei erwähnt, wird das I. in der aristotelischen Philosophie zu einem in einer uneinheitlichen, variablen Terminologie (τομον, I., τόδε τι, dieses Etwas, καθ' καστον, Einzelnes) faßbaren Hauptgegenstand. ARISTOTELES definiert das Individuelle und numerisch Eine als dasjenige, «was von keinem Substrat ausgesagt wird» [4], weil es selbst als konkretes Einzelwesen, das durch eine bestimmte Form und den «letzten Stoff» [5] konstituiert ist (z.B. Sokrates ist eine «solche Form in diesem Fleisch und diesen Knochen» [6]), das letzte ganzheitliche (σύνολον) Wesen ist, das als solches (d.h. als τόδε τι = «Selbständiges» (Tugendhat)) substantiell ist [7] und insofern dem nicht-substantiellen Allgemeinen gegenübersteht. Dieses substantielle Wesen des individuellen Seienden ist nach aristotelischer Lehre wegen der Kontingenz des sinnlich-materiellen Einzelseienden undefinierbar und unbeweisbar [8]. – Auch später gilt das Individuelle für ein nur durch eine definitio καθ' ποτύπωσιν (skizzenhafte Definition) faßbares Seiendes [9]. – Zwar bezeichnet Aristoteles bisweilen auch die Form selbst als «ein Das» [10] und in der ‹Metaphysik› überhaupt – mit einigen Ausnahmen im Aporienbuch – ausschließlich als τομον, doch offenbar nur deswegen, weil sie, wie auch alle universalen Prädikate [11], als qualitätsbestimmender Teil eine individuelle Einheit stiftet [12]. Dagegen bestreitet Aristoteles ganz deutlich den individuellen Charakter der zweiten Substanzen, die, ohne in einem Substrat zu sein, doch von diesem ausgesagt werden und so in der Aussage trotz ihrer Wesensidentität und numerischen Einheit mit dem substantiellen Gegenstand ihre begriffliche Geteiltheit offenbaren [13].

    Gegen diese aristotelische Lehre von den als Individuen verstandenen ersten Substanzen, die als solche den ontologischen Vorrang vor den als Arten und Gattungen verstandenen zweiten Substanzen haben, wendet sich PLOTIN, der die ontologische Priorität des Allgemeinen vor dem Individuellen betont [14], das grundsätzlich unerfaßbar sei [15].

    Aber die plotinische Lehre bezüglich der damit zusammenhängenden Frage, «ob es auch von den Einzeldingen Ideen gebe», ist uneinheitlich. Denn in der gleichnamigen frühen Schrift [16] begründet er die Annahme einer endlichen Anzahl von Ideen der individuell Seienden damit, daß diese sich voneinander «nicht nur durch die Materie, sondern auch durch zahllose formhafte Unterschiede» unterscheiden, so daß eine paradigmatische Idee des artgleichen Seins, an der die Individuen partizipierten, «nicht genügt». Dem widerspricht schlechterdings die Erklärung in einer etwas früheren Schrift χρ δ κα τν καθόλου λέγειν τ εδη εναι, ο Σωκράτους, λλ' νθρπου (Man muß aber sagen, daß es Ideen nur vom Allgemeinen gibt, nicht des Sokrates, sondern nur des Menschen) [17]. Plotin schließt sich damit der schon vom Mittelplatoniker ALBINOS [18] inaugurierten und von ALEXANDER VON APHRODISIAS [19] aufgenommenen Lehre an. Alle anderen Stellen aus späteren Schriften sind in sich hochkontrovers [20].

    Plotins Schüler PORPHYRIOS faßt die nähere Bestimmung dessen, was I. ist, in die klassische, immer wieder übernommene schon durch den Mittelplatonismus vorbereitete [21] Definition: τομα ον λέγεται τ τοιατα, τι ξ διοτήτων συνέστηκεν καστον ν τ θροισμα οκ ν π' λλου ποτ τ ατ γένοιτο (Individuen aber heißen solche Wesen, weil jedes aus Eigentümlichkeiten besteht, deren Gesamtheit bei keinem anderen jemals dieselbe wird) [22]. Neben dieser war noch eine andere porphyrische Bestimmung des I., eine etwas abgewandelte Form derjenigen aus der aristotelischen Kategorienschrift, für die weitere Entwicklung des Begriffs maßgebend: τν γρ κατηγορουμένων τ μν καθ' νς λέγεται μόνου, ς τ τομα οον Σωκράτης κα τ οτος κα τ τοτο. (Von den Prädikaten werden die einen nur von einem ausgesagt, wie die Individuen z.B. Sokrates und das ‹dieser› und das ‹dieses›) [23].

    Die schon bei Aristoteles zu bemerkende, wenn auch nur in der Kategorienschrift deutlich ausgesprochene These von der ontologischen Priorität des Individuellen vor dem Allgemeinen wird erneut und nachhaltig zur Geltung gebracht von ALEXANDER VON APHRODISIAS, der in einem Referat über Platoniker das Sein eines individuell oder partikular Seienden durch Prädikate bestimmt, die einst das subsistente Sein platonischer Ideen kennzeichneten: μερικς δ [ίδέας] ς χωριστς κα καθ' ατς οσας [λέγουσι]. τοτο γρ διον τν τόμων. οδν γρ μ τομον ν κα μερικν δύναται χωριστν κα καθ' ατ εναι, λλ' ν λλ τ εναι χει (Partikular aber nennen sie sie [die Ideen], weil sie abgetrennt und für sich sind. Denn das ist Eigentümlichkeit des Individuellen. Kein nicht-individuell und nicht-partikular Seiendes kann nämlich abgetrennt und für sich sein, sondern es hat in einem anderen das Sein) [24]. Dieses individuelle, selbständige und abgetrennte Sein ist I., eine etwas abgewandelte Form derjenigen aus der aristotelischen Kategorienschrift, für die weitere Entwicklung des Begriffs maßgebend: τν γρ κατηγορουμένων τ μν καθ' νς λέγεται μόνου, ς τ τομα οον Σωκράτης κα τ οτος κα τ τοτο. (Von den Prädikaten werden die einen nur von einem ausgesagt, wie die Individuen z.B. Sokrates und das ‹dieser› und das ‹dieses›) [23].

    Die schon bei Aristoteles zu bemerkende, wenn auch nur in der Kategorienschrift deutlich ausgesprochene These von der ontologischen Priorität des Individuellen vor dem Allgemeinen wird erneut und nachhaltig zur Geltung gebracht von ALEXANDER VON APHRODISIAS, der in einem Referat über Platoniker das Sein eines individuell oder partikular Seienden durch Prädikate bestimmt, die einst das subsistente Sein platonischer Ideen kennzeichneten: μερικς δ [ίδέας] ς χωριστς κα καθ' ατς οσας [λέγουσι]. τοτο γρ διον τν τόμων. οδν γρ μ τομον ν κα μερικν δύναται χωριστν κα καθ' ατ εναι, λλ' ν λλ τ εναι χει (Partikular aber nennen sie sie [die Ideen], weil sie abgetrennt und für sich sind. Denn das ist Eigentümlichkeit des Individuellen. Kein nicht-individuell und nicht-partikular Seiendes kann nämlich abgetrennt und für sich sein, sondern es hat in einem anderen das Sein) [24]. Dieses individuelle, selbständige und abgetrennte Sein ist noch Ungleichartiges (νομοιοειδ) geteilt werden wie die Gattungen und Arten, sondern mit der Teilung vernichtet werden» [31], noch nicht ausgemacht, was genau die Individualität eines substantiell Seienden konstituiert und was infolgedessen verhindert, auch die einzelnen Teile eines individuell Seienden mit dem Namen ‹I.› zu belegen. Erst der zur Ammoniosschule gehörende DAVID scheint dieses Problem eindeutig gelöst zu haben, indem er «die Erhaltung der Art (σώζειν τ οκεον εδος)» als unverzichtbares Merkmal der Individualität versteht: κα γρ Σωκράτης διαιρούμενος ες χερας, πόδας κα κεφαλήν ο σώζει τ οκεον εδος (Denn auch ein in Hände, Füße und Kopf zerteilter Sokrates bewahrt nicht die eigene Art) [32].

    Engverbunden mit dieser aus der Ammoniosschule stammenden Lehre ist die des BOETHIUS, der zunächst drei Arten des I. unterscheidet: «dicitur individuum, quod omnino secari non potest, ut unitas vel mens, dicitur individuum quod ob soliditatem dividi nequit, ut adamas, dicitur individuum cuius praedicatio in reliqua similia non convenit, ut Sokrates» (I. wird genannt, was überhaupt nicht zerschnitten werden kann, wie z.B. Einheit oder Geist; I. wird genannt, was wegen der Härte nicht zerteilt werden kann, wie z.B. Stahl; I. wird das genannt, dessen Prädikation auf andere ähnliche nicht zutrifft, wie z.B. Sokrates) [33]. Besonders bemerkenswert jedoch scheint die Position des Boethius in diesem Zusammenhang deswegen zu sein, weil er nicht nur als erster lateinischer Autor die Bezeichnung ‹I.› nicht auf den Bereich des substantiellen Seins beschränkt, sondern auch durch seine Lehre von den individuellen Akzidentien maßgeblich für die Problemführung des Mittelalters wurde. «Platonis scientia, sicut ipse Plato, particularis est» (Platos Wissen ist, wie Plato selbst, partikulär) heißt die grundlegende Bestimmung. Freilich wird ‹Wissen› als Akzidenz auch von vielen prädiziert, wobei sich ein individuelles von einem universalen Akzidens durch seine in der Partikularität gegründete Nichtprädizierbarkeit von einem Subjekt (de subiecto non praedicatur) unterscheidet, worin zugleich seine Ähnlichkeit mit der ersten Substanz besteht. Freilich ist das individuelle Akzidens genau wie das universale ein unselbständiges Seiendes, dessen Seinsmodus traditionell als Insein in einem Subjekt bestimmt ist [34]. Diese und die daraus folgende Lehre von den vier «Komplexionen» des Seins (substantia universalis, substantia particularis, accidens universale, accidens particulare) hat Boethius von Ammonios Hermeiu übernommen, der wie Porphyrios die akzidentellen I. von den selbstsubsistenten I. (τ τομα αθυπόστατα) trennt [35].

    Mit der im 12. Jh. einsetzenden Boethiusrenaissance gewinnt auch der Begriff des I. wieder an Bedeutung. So versteht der der Schule von Chartres nahestehende ADELARD VON BATH unter dem Individuellen ein identisches Wesen, welches sich lediglich durch die verschiedene Betrachtungsweise (respecto diverso) von dem Universalen unterscheidet. Individuell sind Seiende demnach insofern, als sie als sinnfällige Wesen «von einzelnen Wörtern bezeichnet werden und numerisch verschieden sind». Die das I. als solches konstituierenden individuellen Formen gehen nach Adelard nicht verloren, wenn das einzelne Seiende als artmäßiges betrachtet wird, sie werden nur «vergessen» [36].

    Obwohl schulmäßig mit Adelard verwandt ist bei GILBERT VON POITIERS keine Ähnlichkeit in der Lehre vom I. zu entdecken. Gilbert unterscheidet das Individuelle eines Seienden von seiner singularitas, ähnlich wie verschiedene Aristoteleskommentatoren den individuellen (τ τομον) und den partikularen (τ μερικόν) Charakter eines Seienden auseinander gehalten haben [37]. Und zwar ist die singularitas nach Gilbert der umfassendere Begriff, der alles Seiende bezeichnet, insofern es durch die allen zukommende Proprietät der Singularität einander «konform» ist, wogegen die Individualität eines Seienden auf der partiellen «Unähnlichkeit» seiner Proprietät mit anderen Seienden beruht [38]. Ähnlich wie Gilbert modifiziert auch RICHARD VON ST. VICTOR die Lehre des Boethius. Richard begreift als Grund des substantiellen Seins eines partikularen Wesens die «individuelle Substantialität», die «nur in einem I. ist und mehreren Substanzen überhaupt nicht gemeinsam sein kann». Als solche ist diese Substantialität wesensmäßig inkommunikabel [39].

 

    Anmerkungen.

 

[1] CICERO, De fin. 1, 17 u.ö.

 

[2] DEMOKRIT, VS 67 A 32 = 2 79, 15.

 

[3] a.a.O. 68 A 1 = 2 84. 10.

 

[4] ARISTOTELES, De cat. 1 b 7.

 

[5] Met. 1035 b 30.

 

[6] a.a.O. 1034 a 6.

 

[7] 1037 a 30; 1030 a 19.

 

[8] Vgl. 1039 b 28; dazu P. WILPERT: Zur Interpret. von Met. Z 15, in: Met. und Theol. des Arist., hg. F.-P. HAGER (1969) 367–389.

 

[9] Vgl. MARIUS VICTORINUS, Defin. in: P. HADOT: Marius Victorinus (1971) 355, 16; CASSIODOR, Inst. 2, 3, 14, hg. R. A. B. MYNORS 123, 9; ISIDOR, Orig. 112, 22–25.

 

[10] ARISTOTELES, z.B. Met. 1017 b 25.

 

[11] a.a.O. 1039 a 1.

 

[12] 1033 b 21; Met., hg. W. D. ROSS 1, 310; vgl. H. CHERNISS: Aristotle's criticism of Plato and the Academy (1962) 506ff.

 

[13] ARISTOTELES, De cat. 3 b 10ff.

 

[14] PLOTIN, Enn. VI, 3, 9, 36.

 

[15] a.a.O. VI, 2, 22.

 

[16] V, 7, 1.

 

[17] V, 9, 12.

 

[18] ALBINOS, Didask. 163 H.

 

[19] ALEXANDER VON APHRODISIAS, In Met. 67, 32.

 

[20] Vgl. z.B. J. M. RIST: Ideas of individuals in Plotinus. Rev. int. de Philos. 24 (1970) 298–303.

 

[21] Vgl. ALBINOS, Isag. 155 H.

 

[22] PORPHYRIOS, Isag. 7, 21–23.

 

[23] a.a.O. 2, 17.

 

[24] ALEX. v. APHROD. a.a.O. [19] 785, 31; vgl. 464, 36; zur ontol. Priorität der ersten Substanzen als I. bei Alex. v. Aphr. vgl. auch den Bericht bei ELIAS, In cat. 166, 25–167, 1.

 

[25] a.a.O. [19] 677, 24; 464, 36.

 

[26] 162, 19.

 

[27] MARIUS VICTORINUS, Rhet. 1, 22, hg. HALM 211, 38ff.

 

[28] BOETHIUS, In Porph. Comm. III. MPG 64, 114 a.

 

[29] AMMONIOS, In cat. 49, 2.

 

[30] SIMPLICIUS, In cat. 102, 28.

 

[31] AMMONIOS, In Porph. Is. 63, 17.

 

[32] DAVID, In Porph. Is. 98, 3ff.

 

[33] Vgl. BOETHIUS, a.a.O. [28] III. MPL 64, 97 c.

 

[34] In cat. Arist. I. MPL 64, 169ff.

 

[35] Vgl. AMMONIOS, In Cat. 25, 5ff.; 30, 7; PORPHYRIOS, In Cat. 72, 9ff.; PHILOPONOS, In Cat. 28, 21.

 

[36] Vgl. ADELARD VON BATH, De eodem et diverso, hg. H. WILLNER, in: Beitr. Gesch. Philos. MA 4/1 (1903) 11, 20.

 

[37] Vgl. OLYMP, In Cat. 46, 13.

 

[38] Vgl. GILBERT VON POITIERS, Contra Eutychen 2, 29f., hg. HÄRING (1966) 270, 73ff.; Expos. in Boeth. Trin. I, 5, hg. HÄRING (1966) 144, 55; 67.

 

[39] Vgl. RICHARD VON ST. VICTOR, De Trin. II, 12, hg. J. RIBAILLIER (1958) 119.

 

    Literaturhinweise. A. PREISWERK: Das Einzelne bei Platon und Arist. Philologus, Suppl. 32/1 (1939). – K. KRE MER: Der Metaphysikbegriff in den Arist.-Komm. der Ammonius-Schule (1961). – J. M. RIST: Forms of individuals in Plotinus. Class. Quart. 13 (1963) 223–231. – F. WADE: Abelard and individuality, in: Die Met. im MA, hg. P. WILPERT (1963) 165–171. – H. J. BLUMENTHAL: Did Plotinus believe in ideas of individuals? Phronesis 11 (1966) 61–80. – E. TUGENDHAT: TI KATA TINOS. Eine Unters. zu Struktur und Ursprung arist. Grundbegriffe (1958, 21968). – P. S. MAMO: Forms of individuals in the Enneads. Phronesis 14 (1969) 77–96. – J. ANNAS: Individuals in Aristotle's «Categories»: Two queries. Phronesis 19 (1974) 146–152.

 

TH. KOBUSCH

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