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부르주아 사회 (6)

Sur l´eau 2009. 2. 21. 04:29

Gesellschaft, bürgerliche. –    6. Die Wende von der «alten» zur modernen b.G. ist in der ‹Déclaration des droits de l'homme et du citoyen› (1789) geschichtlich dokumentiert. Unter Berufung auf das Recht des Menschen vernichtet die Französische Revolution die partikular-gesellschaftliche Institution, welche die alte b.G. in den Rechten und Freiheiten der Provinzen, Städte, Gemeinden und Stände besaß. Die Gesellschaft wird «bürgerlich» in dem Sinne, daß sie nun nicht mehr aus den politisch und korporativ-ständisch berechtigten Bürgern, sondern der Gesamtheit der freien und gleichen, unter der souveränen Staatsgewalt vereinigten «Staatsbürger» (citoyens) besteht [31]. Erst damit konstituiert sich die b.G. als eine Gesellschaft, deren Subjekt der Mensch als Mensch ist. Bereits im Artikel ‹société› der ‹Encyclopédie› waren die Bestimmungen des Traditionsbegriffs der société civile ou politique auf die société übertragen worden, «qui embrasse tous les hommes» [32]. Das Recht des Menschen intendiert das Gesellschaftsrecht einer «société universelle», welche die französischen Revolutionäre jedoch vergeblich mit der von ihnen emanzipativ gesetzten b.G. zur Deckung zu bringen versuchten. Denn dasselbe Menschenrecht intendiert zugleich Individualrecht, – Freiheit, Eigentum und Sicherheit [33]. Die doppelte Fassung der droits de l'homme, die im citoyen den homme und in diesem den bourgeois befreien, enthält den Widerspruch in sich, der nach Ablauf der revolutionären Epoche zwischen bourgeois und citoyen einerseits, Staat und b.G. andererseits aufbricht.

    Die erste prinzipielle Formulierung dieses Widerspruchs, die eine Neubestimmung des Begriffs zur Folge hat, gibt HEGEL in den ‹Grundlinien der Philosophie des Rechts› (1821). Während der «Staat» in der Sprache der klassischen Politik und auch des modernen Naturrechts bis hin zu Kant als b.G. bezeichnet wurde, weil diese an sich selber schon politisch verfaßt war, unterscheidet Hegel die politische Sphäre des Staats von dem nunmehr «bürgerlich» bestimmten Bereich der Gesellschaft, wobei das Adjektiv ‹bürgerlich›, entgegen seiner ursprünglichen Bedeutung, die nur noch privatrechtliche Stellung des zum bourgeois gewordenen Bürgers bezeichnet [34]. Der von seiner politisch-rechtlichen Bedeutung abgelöste Bürgerbegriff geht mit dem Begriff der ökonomisch und rechtlich sich emanzipierenden Gesellschaft eine terminologische Verbindung ein, die zwar äußerlich mit der Sprechweise der klassischen Politik und des modernen Naturrechts übereinstimmt, zu ihrer Entstehung aber deren Auflösung voraussetzt. So sieht es Hegel als einen Mangel an, daß die Lehrer des Naturrechts den Staat nur als Personenverband zu begreifen vermochten: «Wenn der Staat vorgestellt wird als Einheit verschiedener Personen, als eine Einheit, die nur Gemeinsamkeit ist, so ist damit nur die Bestimmung der b.G. gemeint» [35]. Der Einwand richtet sich gegen  das traditionell-politische Verständnis der b.G. überhaupt, die sprachliche und institutionelle «Gemeinsamkeit» in der Bestimmung der Einheit von civitas und societas civilis, welche die naturrechtlichen Vertragslehren bis hin zu Kant beeinflußt hat. Im Unterschied dazu deutet Hegel die b.G. als Sphäre der Differenz, die er geschichtlich auf den modernen Staat bezieht, den sie «als Selbständiges vor sich haben muß, um zu bestehen» [36]. Ihre zweite Voraussetzung sind die von der Politischen Ökonomie des 18. Jh. erarbeiteten und in ein ‹System› gebrachten Kategorien von Bedürfnis und Arbeit, Tausch und Arbeitsteilung, Wert und Vermögen, die Hegel als kategoriale Bestimmungen der modernen b.G. begreift. An ihnen wird sichtbar, daß die politische Emanzipation und ihr Menschenrecht zum Aufkommen jenes Arbeits- und Bedürfnissystems gehören, das die Politische Ökonomie auf den Begriff bringt. Die gesellschaftliche, auf dem «Interesse» der Einzelnen beruhende Arbeit ist an die Freiheit von Person und Eigentum gebunden, die mit den droits de l'homme alle erreicht haben; in der modernen b.G. gilt der Mensch, «weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist» [37]. Aber zugleich gewinnt HEGEL Einsicht in die negativen Folgen ihres Arbeits- und Konkurrenzprinzips; die «ungehinderte Wirksamkeit» bringt die b.G. inner halb ihrer selbst zu «fortschreitender Bevölkerung und Industrie», womit das «Herabsinken einer großen Masse unter das Maß einer gewissen Subsistenzweise», die Erzeugung des «Pöbels» verknüpft ist. Darin liegt für Hegel die «Dialektik» der b.G., – daß sie bei dem Übermaße des Reichtums nicht reich genug sei, dem Übermaß der Armut zu «steuern» [38].

    Diese von Hegel entdeckte, auf die Probleme der Klassenbildung und des Proletariats vorausweisende Dialektik wird für die Geschichte des Begriffs im 19. Jh. bestimmend. Die Hegelsche Theorie, in der sie nur am Rande auftreten, erfährt durch die Entstehung der «sozialen Frage» einen nochmaligen Wandel. Während die Existenz des «Pöbels» bei Hegel zur «korporativen» Vermittlung mit der b.G. auffordert, steht das «Proletariat» der 40er Jahre bereits außerhalb ihres Begriffshorizontes, der sich jetzt zur «Bourgeois-Gesellschaft» [39] verengt. Die b.G. wird im sozialgeschichtlichen Kontext des 19. Jh. zur Klassengesellschaft, der Begriff im historischen Bewußtsein des Bürgertums zu einem «Drittenstandsbegriff» verengt [40]. In diesem Sprachgebrauch stimmen fortan die konservativen und liberalen mit den revolutionären Theoretikern überein. Auffällig ist, daß bei MARX, der an der Ideologisierung des Begriffs maßgeblichen Anteil hat, die vorrevolutionäre Bedeutung der «bürgerlichen» als «politischer Gesellschaft» erhalten  bleibt [41]. Obwohl ihr geschichtlicher Sinn verblaßt ist, führt er Marx in der Bestimmung des modernen Begriffs zu der Aporie, das «Wort bürgerliche Gesellschaft» als ein Produkt des 18. Jh. aufzufassen und zugleich zu konstatieren, daß die «gesellschaftliche Organisation, die zu allen Zeiten die Basis des Staats und der sonstigen idealistischen Superstruktur bildet ... indess fortwährend mit demselben Namen bezeichnet worden» sei [42]. Das Verständnis für die Problematik des Begriffs tritt freilich in der zweiten Hälfte des 19. Jh. ganz zurück. Auf dem Boden der als «Klassenordnung» [43] sich verfestigenden b.G. kommt es zu jener epochalen Umkehr des modernen historischen Bewußtseins, in dessen Perspektive sich die Gemeinsamkeit der politischen Sprache und die Verbindlichkeit der von ihr entwickelten Unterscheidungen auflöst. Der Ursprung des Begriffs wird in das 18. Jh. verlegt und geschichtlich mit der Emanzipation des Bürgerstandes verbunden. Erst damit besteht die Möglichkeit, ihn zu funktionalisieren und seinen Gebrauch nach Zwecken zu bestimmen, die ideologisch erheischt sind. Sie ist von den Globalideologien des 19. und 20. Jh. immer wieder ergriffen und bis hin zur Gegenwart sprachpolitisch genutzt worden. Eine sozialwissenschaftliche oder geschichtsphilosophisch verbindliche Bedeutung kommt dem Begriff jedoch nicht zu. Er ist nicht nur unvereinbar  mit den komplexen Strukturen der Klassen- und Gruppenbildung innerhalb der modernen Industriegesellschaft, sondern widerspricht bei theoretisch reflexionsloser und unkritischer Anwendung der Bildungsstufe jenes geschichtlich aufgeklärten gesellschaftlichen Bewußtseins, das vom Ende des «bürgerlichen» Zeitalters weiß.

 

    Anmerkungen.

 

[1] ARISTOTELES, Pol. 1252 a 1–7.

 

[2] Eth. Nic. 1160 a 8f. a 28f.

 

[3] Pol. 1253 a 20–27.

 

[4] Met. 1028 a 23f.

 

[5] Pol. 1252 b 29. 1253 a 1. a 26ff.

 

[6] Pol. 1253 a 19. a 25f.

 

[7] Pol. 1253 a 29–38.

 

[8] Pol. 1279 a 21.

 

[9] Pol. 1255 b 16–20.

 

[10] Pol. 1252 b 29f.

 

[11] Pol. 1280 b 33–35.

 

[12] CICERO, De nat. deor. II, 78; De fin. III, 66; Orat. II, 68; Leg. I, 62.

 

[13] De fin. III, 66; Leg. I, 7, 23; Off. I, 16–17.

 

[14] Leg. I, 16; Off. I, 17, 53; III, 5, 21–22; De fin. V, 23.

 

[15] ARISTOTELES, Pol. 1322 b 18ff. 1328 b 11ff.

 

[16] THOMAS v. AQUIN, Contra Imp. Dei cult., Opusc. omn. 4, hg. P. MANDONNET (1927) 25f.; S. theol. I/II, q. 100, 2 c; 98, 1.

 

[17] Libr. sent. III, dist. 29, 6.

 

[18] LEIBNIZ, Dtsch. Schriften 1 (1838) 414–16; Textes inédites, hg. G. GRUA (1948) 596–603.

 

[19] ALBERTUS MAGNUS, Comment. in Lib. Polit. Arist. I, 1. Opera omnia 8 (1893) 6.

 

[20] MELANCHTHON, Corp. Ref. XXI, 991; SUÁREZ, De op. 6 dier. V. 7, n. 1; COVARRUVIAS, Practicae Quaest. (1556), I, 2; F. BACON, De augm. scient. VII, 2.

 

[21] TH. HOBBES, De cive cap. 5, § 9.

 

[22] Elements of law, P. 1, Ch. 19, § 8.

 

[23] J. LOCKE, The second treatise of government Ch. 5, 27–32; 9, 123–124; 11, 134.

 

[24] S. PUFENDORF, De officio hominis et civis cap. 5, § 2.

 

[25] a.a.O. cap. 1, § 2, ad 5.

 

[26] MONTESQUIEU, De l'esprit des lois (1748) I, 3; vgl. G. V. GRAVINA, De iure naturali gentium cap. 17.

 

[27] A. FERGUSON: An essay on the hist. of civil society (1759) P. I; A. SMITH: An inquiry in the nature and causes of the wealth of nations (1776); Everyman's Libr. Ed. (1960) 1, 12. 230. 536, 2, 197f. 201. 264ff.; DUPONT de NEMOURS, Correspondance avec J. B. Say, hg. E. DAIRE (1815) 397.

 

[28] J. J. BECHER, Polit. discours (1673) 1.

 

[29] CHR. WOLFF, Oeconomica 1 (1754) Prol. § 1.

 

[30] SMITH, a.a.O. [27] B 1, eh.; 2, ch. 3.

 

[31] Déclaration (1789) Art. 1. 3. 6; Constitution française (1791), Tit. 1; 2, Art. 1–4; 3, Art. 1.

 

[32] Encyclopédie, hg. DIDEROT/d'ALEMBERT 31 (1781) 206ff.: Art. ‹Société, Morale›; 217–219: ‹Société, Jurisprud.›.

 

[33] Déclaration Art. 2. 4. 17.

 

[34] HEGEL, Rechtsphilos. § 190 Anm.

 

[35] a.a.O. § 182 Zus.

 

[36] § 182 Zus.

 

[37] § 209 Anm.; § 190 Anm.

 

[38] § 243–248.

 

[39] K. MARX: Dtsch. Ideol. (1845). MEW 3, 194.

 

[40] J. C. BLUNTSCHLI: Dtsch. Staatswb. 4 (1859) 247; H. WAGENER: Staats- und Gesellschaftslex. 4 (1860) 674; W. H. RIEHL, Die b.G. (1851) 4f.

 

[41] K. MARX: Krit. des Hegelschen Staatsrechts (1843). MEW 1, 283ff.; Zur Judenfrage (1844) 367f.

 

[42] Dtsch. Ideol. a.a.O. [39] 36.

 

[43] H. v. TREITSCHKE: Der Socialismus und seine Gönner (1875) 106.

 

    Literaturhinweise. A. v. UNRUH: Dogmenhist. Untersuch. über den Gegensatz von Staat und Gesellschaft vor Hegel (1928). – R. SCHWENGER: Der Begriff der b.G. bei Kant und Fichte. (Diss. Bonn 1929). – O. BRUNNER: Neue Wege der Sozialgesch. (1956). – J. RITTER: Das bürgerl. Leben, in: Vjschr. wiss. Pädag. 32 (1956) 60–94. – L. STRAUSS: The city and man (1964). – M. RIEDEL: Studien zu Hegels Rechtsphilos. (1969). – H. MEDICK: Naturzustand und Naturgesch. der b.G. Die Ursprünge der bürgerlichen Sozialtheorie als Geschichtsphilos. bei Samuel Pufendorf, John Locke und Adam Smith (1973).

 

 

Manfred Riedel, „Gesellschaft, bürgerliche“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 3: G–H, Hrsg. von Joachim Ritter, Basel 1974, S. S.466- 473.


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