Philo. u. Theo.

Glauben und Wissen (6)

Sur l´eau 2008. 8. 29. 22:01

Glauben und Wissen (6)

Wenn man beschreibt, wie eine Person etwas getan hat, was sie nicht gewollt hat und was sie auch nicht hätte tun sollen, dann beschreibt man sie – aber eben nicht so wie ein naturwissenschaftliches Objekt. Denn in die Beschreibung von Personen gehen stillschweigend Momente des vorwissenschaftlichen Selbstverständnisses von sprach- und handlungsfähigen Subjekten ein. Wenn wir einen Vorgang als die Handlung einer Person beschreiben, wissen wir beispielsweise, dass wir etwas beschreiben, was nicht nur wie ein Naturvorgang erklärt, sondern erforderlichenfalls auch gerechtfertigt werden kann. Im Hintergrund steht das Bild von Personen, die voneinander Rechenschaft fordern können, die von Haus aus in normativ geregelte Interaktionen verwickelt sind und sich in einem Universum öffentlicher Gründe begegnen.

Diese im Alltag mitgeführte Perspektive erklärt die Differenz zwischen dem Sprachspiel der Rechtfertigung und dem der bloßen Beschreibung. An diesem Dualismus finden auch die nicht-reduktionistischen Erklärungsstrategien eine Grenze. Auch sie nehmen ja Beschreibungen aus einer Beobachterperspektive vor, der sich die Teilnehmerperspektive unseres Alltagsbewusstseins (von der auch die Rechtfertigungspraxis der Forschung zehrt) nicht zwanglos ein- und unterordnen lässt. Im alltäglichen Umgang richten wir den Blick auf Adressaten, die wir mit »Du« ansprechen. Nur in dieser Einstellung gegenüber zweiten Personen verstehen wir das »Ja« und »Nein« der Anderen, die kritisierbaren Stellungnahmen, die wir einander schulden und voneinander erwarten.

Dieses Bewusstsein von rechenschaftspflichtiger Autorschaft ist der Kern eines Selbstverständnisses, das sich nur der Perspektive von Beteiligten und nicht von Beobachtern erschließt, aber einer revisionären wissenschaftlichen Beobachtung entzieht. Der szientistische Glaube an eine Wissenschaft, die eines Tages das personale Selbstverständnis durch eine objektivierende Selbstbeschreibung nicht nur ergänzt, sondern ablöst, ist nicht Wissenschaft, sondern schlechte Philosophie. Auch dem wissenschaftlich aufgeklärten Commonsense wird es keine Wissenschaft abnehmen, beispielsweise zu beurteilen, wie wir unter molekularbiologischen Beschreibungen, die gentechnische Eingriffe möglich machen, mit vorpersonalem menschlichem Leben umgehen sollen.

Der Commonsense ist also mit dem Bewusstsein von Personen verschränkt, die Initiativen ergreifen, Fehler machen und Fehler korrigieren können. Er behauptet gegenüber den Wissenschaften eine eigensinnige Perspektivenstruktur. Dieses selbe, naturalistisch nicht greifbare Autonomiebewusstsein begründet auf der anderen Seite auch den Abstand zu einer religiösen Überlieferung, von deren normativen Gehalten wir gleichwohl zehren. Mit der Forderung nach rationaler Begründung scheint die wissenschaftliche Aufklärung einen Commonsense, der im vernunftrechtlich konstruierten Gebäude des demokratischen Verfassungsstaates Platz genommen hat, doch noch auf ihre Seite zu ziehen. Gewiss, auch das egalitäre Vernunftrecht hat religiöse Wurzeln. Aber diese vernunftrechtliche Legitimation von Recht und Politik speist sich aus längst profanisierten Quellen. Der Religion gegenüber beharrt der demokratisch aufgeklärte Commonsense auf Gründen, die nicht nur für Angehörige einer Glaubensgemeinschaft akzeptabel sind. Deshalb weckt der liberale Staat auf Seiten der Gläubigen wiederum auch den Argwohn, dass die abendländische Säkularisierung eine Einbahnstraße sein könnte, die die Religion am Rande liegen lässt.

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