Philo. u. Theo.

Glauben und Wissen (3)

Sur l´eau 2008. 8. 29. 21:56

Glauben und Wissen (3)

Das Wort »Säkularisierung« hatte zunächst die juristische Bedeutung der erzwungenen Übereignung von Kirchengütern an die säkulare Staatsgewalt. Diese Bedeutung ist dann auf die Entstehung der kulturellen und gesellschaftlichen Moderne insgesamt übertragen worden. Seitdem verbinden sich mit »Säkularisierung« entgegengesetzte Bewertungen, je nachdem ob wir die erfolgreiche Zähmung der kirchlichen Autorität durch die weltliche Gewalt oder den Akt der widerrechtlichen Aneignung in den Vordergrund rücken. Nach der einen Lesart werden religiöse Denkweisen und Lebensformen durch vernünftige, jedenfalls überlegene Äquivalente ersetzt; nach der anderen Lesart werden die modernen Denk- und Lebensformen als illegitim entwendete Güter diskreditiert. Das Verdrängungsmodell legt eine fortschrittsoptimistische Deutung der entzauberten, das Enteignungsmodell eine verfallstheoretische Deutung der obdachlosen Moderne nahe. Beide Lesarten machen denselben Fehler. Sie betrachten die Säkularisierung als eine Art Nullsummenspiel zwischen den kapitalistisch entfesselten Produktivkräften von Wissenschaft und Technik auf der einen, den haltenden Mächten von Religion und Kirche auf der anderen Seite. Dieses Bild passt nicht zu einer postsäkularen Gesellschaft, die sich auf das Fortbestehen religiöser Gemeinschaften in einer sich fortwährend säkularisierenden Umgebung einstellt. Ausgeblendet bleibt in diesem zu engen Bild die zivilisierende Rolle eines demokratisch aufgeklärten Commonsense, der sich im kulturkämpferischen Stimmengewirr gleichsam als dritte Partei zwischen Wissenschaft und Religion einen eigenen Weg bahnt. Gewiss, aus der Sicht des liberalen Staates verdienen nur die Religionsgemeinschaften das Prädikat »vernünftig«, die aus eigener Einsicht auf eine gewaltsame Durchsetzung ihrer Glaubenswahrheiten Verzicht leisten. Jene Einsicht verdankt sich einer dreifachen Reflexion der Gläubigen auf ihre Stellung in einer pluralistischen Gesellschaft. Das religiöse Bewusstsein muss erstens die Begegnung mit anderen Konfessionen und anderen Religionen kognitiv verarbeiten. Es muss sich zweitens auf die Autorität von Wissenschaften einstellen, die das gesellschaftliche Monopol an Weltwissen innehaben. Schließlich muss es sich auf Prämissen eines Verfassungsstaates einlassen, der sich aus einer profanen Moral begründet. Ohne diesen Reflexionsschub entfalten die Monotheismen in rücksichtslos modernisierten Gesellschaften ein destruktives Potenzial. Das Wort »Reflexionsschub« legt freilich die falsche Vorstellung eines einseitig vollzogenen und abgeschlossenen Prozesses nahe. Tatsächlich findet diese reflexive Arbeit bei jedem neu aufbrechenden Konflikt auf den Umschlagplätzen der demokratischen Öffentlichkeit eine Fortsetzung.

'Philo. u. Theo.' 카테고리의 다른 글

Glauben und Wissen (5)  (0) 2008.08.29
Glauben und Wissen (4)  (0) 2008.08.29
Glauben und Wissen (2)  (0) 2008.08.29
Glauben und Wissen (1)  (0) 2008.08.29
종교의 미래에 대하여  (0) 2008.06.07