Philo. u. Theo.

Glauben und Wissen (5)

Sur l´eau 2008. 8. 29. 21:59

Glauben und Wissen (5)

Wenn wir mit Max Weber den Blick auf die Anfänge der »Entzauberung der Welt« lenken, sehen wir, was auf dem Spiel steht. Die Natur wird in dem Maße, wie sie der objektivierenden Beobachtung und kausalen Erklärung zugänglich gemacht wird, entpersonalisiert. Die wissenschaftlich erforschte Natur fällt aus dem sozialen Bezugssystem von Personen, die sich gegenseitig Absichten und Motive zuschreiben, heraus. Was wird nun aus solchen Personen, wenn sie sich nach und nach selber unter naturwissenschaftliche Beschreibungen subsumieren? Wird sich der Commonsense am Ende vom kontraintuitiven Wissen der Wissenschaften nicht nur belehren, sondern mit Haut und Haaren konsumieren lassen? Der Philosoph Winfrid Sellars hat diese Frage 1960 bereits mit dem Szenario einer Gesellschaft beantwortet, in der die altmodischen Sprachspiele unseres Alltags zugunsten der objektivierenden Beschreibung von Bewusstseinsvorgängen außer Kraft gesetzt worden sind. Er hat dieses Szenario zunächst einmal entworfen. Der Fluchtpunkt dieser Naturalisierung des Geistes ist ein wissenschaftliches Bild vom Menschen in der extensionalen Begrifflichkeit von Physik, Neurophysiologie oder Evolutionstheorie, das auch unser Selbstverständnis vollständig entsozialisiert. Das kann freilich nur gelingen, wenn die Intentionalität des menschlichen Bewusstseins und die Normativität unseres Handelns in einer solchen Selbstbeschreibung ohne Rest aufgehen. Die erforderlichen Theorien müssen beispielsweise erklären, wie Personen Regeln – grammatische, begriffliche oder moralische Regeln – befolgen oder verletzen können. Sellars’ Schüler haben das aporetische Gedankenexperiment ihres Lehrers als Forschungsprogramm missverstanden, das sie bis heute verfolgen. Das Vorhaben einer naturwissenschaftlichen Modernisierung unserer Alltagspsychologie hat sogar zu Versuchen einer Semantik geführt, die gedankliche Inhalte biologisch erklären will. Aber auch diese avanciertesten Ansätze scheinen daran zu scheitern, dass der Begriff von Zweckmäßigkeit, den wir in das Darwinsche Sprachspiel von Mutation und Anpassung, Selektion und Überleben hineinstecken, zu arm ist, um an jene Differenz von Sein und Sollen heranzureichen, die wir meinen, wenn wir Regeln verletzen.

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