Philo. u. Theo.

Glauben und Wissen (2)

Sur l´eau 2008. 8. 29. 21:54

Glauben und Wissen (2)

Trotz seiner religiösen Sprache ist der Fundamentalismus ein ausschließlich modernes Phänomen. An den islamischen Tätern fiel sofort die Ungleichzeitigkeit der Motive und der Mittel auf. Darin spiegelt sich eine Ungleichzeitigkeit von Kultur und Gesellschaft in den Heimatländern der Täter, die sich erst infolge einer beschleunigten und radikal entwurzelnden Modernisierung herausgebildet hat. Was unter glücklicheren Umständen bei uns immerhin als ein Prozess schöpferischer Zerstörung erfahren werden konnte, stellt in diesen Ländern keine erfahrbare Kompensation für den Schmerz des Zerfalls traditionaler Lebensformen in Aussicht. Dabei ist die Aussicht auf Besserung der materiellen Lebensverhältnisse nur eines. Entscheidend ist der durch Gefühle der Erniedrigung offenbar blockierte Geisteswandel, der sich politisch in der Trennung von Religion und Staat ausdrückt. Auch in Europa, dem die Geschichte Jahrhunderte eingeräumt hat, um eine sensible Einstellung zum Januskopf der Moderne zu finden, ist »Säkularisierung« immer noch, wie sich am Streit um die Gentechnik zeigt, mit ambivalenten Gefühlen besetzt.

Verhärtete Orthodoxien gibt es im Westen ebenso wie im Nahen und im Ferneren Osten, unter Christen und Juden ebenso wie unter Moslems. Wer einen Krieg der Kulturen vermeiden will, muss sich die unabgeschlossene Dialektik des eigenen, abendländischen Säkularisierungsprozesses in Erinnerung rufen. Der »Krieg gegen den Terrorismus« ist kein Krieg, und im Terrorismus äußert sich auch der verhängnisvoll-sprachlose Zusammenstoß von Welten, die jenseits der stummen Gewalt der Terroristen wie der Raketen eine gemeinsame Sprache entwickeln müssen. Angesichts einer Globalisierung, die sich über entgrenzte Märkte durchsetzt, erhofften sich viele von uns eine Rückkehr des Politischen in anderer Gestalt – nicht in der Hobbistischen Ursprungsgestalt des globalisierten Sicherheitsstaates, also in den Dimensionen von Polizei, Geheimdienst und jetzt eben auch Militär, sondern als weltweit zivilisierende Gestaltungsmacht. Im Augenblick bleibt uns nicht viel mehr als die fahle Hoffnung auf eine List der Vernunft – und ein wenig Selbstbesinnung. Denn jener Riss der Sprachlosigkeit entzweit auch das eigene Haus. Den Risiken einer andernorts entgleisenden Säkularisierung werden wir nur mit Augenmaß begegnen, wenn wir uns darüber klar werden, was Säkularisierung in unseren postsäkularen Gesellschaften bedeutet. In dieser Absicht nehme ich heute das alte Thema »Glauben und Wissen« wieder auf. Sie dürfen also keine »Sonntagsrede« erwarten, die polarisiert, die die einen aufspringen und die anderen sitzen bleiben lässt.

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