Th.W. Adorno

Freizeit (6)

Sur l´eau 2008. 8. 29. 07:52

Freizeit (6)

 

    Unter den herrschenden Bedingungen wäre es abwegig und töricht, von den Menschen zu erwarten oder zu verlangen, daß sie in ihrer Freizeit etwas Produktives vollbrächten; denn eben Produktivität, die Fähigkeit zum nicht schon Dagewesenen, wird ihnen ausgetrieben. Was sie dann in der Freizeit allenfalls produzieren, ist kaum besser als das ominöse hobby, die Nachahmung von Gedichten oder Bildern, die, unter der schwer widerruflichen Arbeitsteilung, andere besser herstellen können als die Freizeitler. Was sie schauen, hat etwas Überflüssiges. Diese Überflüssigkeit teilt sich der minderen Qualität des Hervorgebrachten mit, die wieder die Freude daran vergällt.

    Auch die überflüssige und sinnlose Tätigkeit in der Freizeit ist gesellschaftlich integriert. Abermals spielt ein gesellschaftliches Bedürfnis mit. Gewisse Formen der Dienstleistungen, insbesondere die von Hausangestellten, streben aus, die Nachfrage ist außer Verhältnis zum Angebot. In Amerika können nur noch wirklich Wohlhabende Dienstmädchen sich halten, Europa folgt rasch nach. Das veranlaßt viele Menschen, subalterne Tätigkeiten auszuüben, die früher delegiert waren. Daran knüpft die Parole »Do it yourself«, tue es selbst, als praktischer Rat an; allerdings auch an den Überdruß, den die Menschen vor einer Mechanisierung empfinden, die sie entlastet, ohne daß sie – und nicht diese Tatsache ist zu bestreiten, nur ihre gängige Interpretation – Verwendung hätten für die gewonnene Zeit. Deshalb werden sie, wiederum im Interesse von Spezialindustrien, dazu animiert, das selbst zu tun, was andere besser und einfacher für sie tun könnten und was sie zutiefst ihrerseits eben darum verachten müssen. Im übrigen gehört es zu einer sehr alten Schicht des bürgerlichen Bewußtseins, daß man das Geld, das man in der arbeitsteiligen Gesellschaft für Dienstleistungen ausgibt, sparen könne, aus sturem Eigeninteresse blind dagegen, daß das ganze Getriebe sich nur durch den Tausch spezialisierter Fertigkeiten am Leben erhält. Wilhelm Tell, das abscheuliche Urbild einer knorrigen Persönlichkeit, verkündet, daß die Axt im Haus den Zimmermann erspart, wie denn aus Schillers Maximen eine ganze Ontologie des bürgerlichen Bewußtseins sich kompilieren ließe.

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