Th.W. Adorno

Freizeit (4)

Sur l´eau 2008. 8. 29. 07:47

Freizeit (4)

 

    Man kann das an der Hobby-Ideologie einfach sich klarmachen. In der Selbstverständlichkeit der Frage, welches hobby man habe, klingt mit, daß man eines haben müsse; womöglich auch schon eine Auswahl zwischen hobbies, die übereinstimmt mit dem Angebot des Freizeitgeschäfts. Organisierte Freiheit ist zwangshaft: wehe, wenn du kein Hobby, keine Freizeitbeschäftigung hast; dann bist du ein Streber oder ein altmodischer Mensch, ein Unikum, und verfällst der Lächerlichkeit in der Gesellschaft, welche dir aufdrängt, was deine Freizeit sein soll. Solcher Zwang ist keineswegs nur einer von außen. Er knüpft an die Bedürfnisse der Menschen unter dem funktionalen System an. Camping – in der älteren Jugendbewegung liebte man zu kampieren – war Protest gegen bürgerliche Langeweile und Konvention. Man wollte heraus, im doppelten Sinn. Das Unter-freiem-Himmel-Nächtigen stand ein dafür, daß man dem Haus: der Familie entronnen sei. Dies Bedürfnis ist nach dem Tod der Jugendbewegung von der Campingindustrie aufgegriffen und institutionalisiert worden. Sie könnte die Menschen nicht dazu nötigen, Zelte und Wohnwagen samt ungezählten Hilfsutensilien ihr abzukaufen, verlangte nicht etwas in den Menschen danach; aber deren eigenes Bedürfnis nach Freiheit wird funktionalisiert, vom Geschäft erweitert reproduziert; was sie wollen, nochmals ihnen aufgenötigt. Deshalb gelingt die Integration der Freizeit so reibungslos; die Menschen merken nicht, wie sehr sie dort, wo sie am freiesten sich fühlen, Unfreie sind, weil die Regel solcher Unfreiheit von ihnen abstrahiert ward.

    Wird der Begriff der Freizeit, im Unterschied von der Arbeit, so strikt genommen, wie es zumindest einer älteren, heute vielleicht schon überholten Ideologie entspricht, so nimmt sie etwas Nichtiges – Hegel hätte gesagt: Abstraktes – an. Prototyp ist das Verhalten jener, die in der Sonne sich braun braten lassen, nur um der braunen Hautfarbe willen, und obwohl der Zustand des Dösens in der prallen Sonne keineswegs lustvoll ist, möglicherweise physisch unangenehm, gewiß die Menschen geistig inaktiv macht. Der Fe tischcharakter der Ware ergreift in der Bräune der Haut, die ja im übrigen ganz hübsch sein kann, die Menschen selber; sie werden sich zu Fetischen. Der Gedanke, daß ein Mädchen, dank seiner braunen Haut, erotisch besonders attraktiv sei, ist wahrscheinlich nur noch eine Rationalisierung. Bräune ist zum Selbstzweck geworden, wichtiger als der Flirt, zu dem sie vielleicht einmal verlocken sollte. Kommen Angestellte aus dem Urlaub zurück, ohne die obligate Farbe sich erworben zu haben, so dürfen sie dessen versichert sein, daß Kollegen spitz fragen: »Sind Sie denn gar nicht in Urlaub gewesen?« Der Fetischismus, der in der Freizeit gedeiht, unterliegt zusätzlicher sozialer Kontrolle. Daß die Kosmetikindustrie mit ihrer überwältigenden und unausweichlichen Reklame das Ihre dazu beiträgt, ist ebenso selbstverständlich, wie die willfährigen Menschen es verdrängen.

'Th.W. Adorno' 카테고리의 다른 글

Freizeit (6)  (0) 2008.08.29
Freizeit (5)  (0) 2008.08.29
Freizeit (3)  (0) 2008.08.29
Freizeit (2)  (0) 2008.08.29
Freizeit (1)  (0) 2008.08.29