Th.W. Adorno

Freizeit (2)

Sur l´eau 2008. 8. 29. 07:44

Freizeit (2)

 

    Ich möchte, um das Problem zu erläutern, eine geringfügige eigene Erfahrung benutzen. Immer wieder wird man, in Interviews und Erhebungen, danach gefragt, was für ein hobby man habe. Wenn die illustrierten Zeitungen über einen jener Matadore der Kulturindustrie berichten, von denen zu reden wiederum eine Hauptbeschäftigung der Kulturindustrie ausmacht, so lassen sie es sich selten entgehen, über die hobbies der Betreffenden mehr oder minder Anheimelndes zu erzählen. Ich erschrecke über die Frage, wenn sie auch mit widerfährt. Ich habe kein hobby. Nicht daß ich ein Arbeitstier wäre, was nichts anderes mit sich anzufangen wüßte, als sich anzustrengen und zu tun, was es tun muß. Aber mit dem, womit ich mich außerhalb meines offiziellen Berufs abgebe, ist es mir, ohne alle Ausnahme, so ernst, daß mich die Vorstellung, es handele sich um hobbies, also um Beschäftigungen, in die ich mich sinnlos vernarrt habe, nur um Zeit totzuschlagen, schockierte, hätte nicht meine Erfahrung gegen Manifestationen von Barbarei, die zur Selbstverständlichkeit geworden sind, mich abgehärtet. Musik machen, Musik hören, konzentriert lesen ist ein integrales Moment meines Daseins, das Wort hobby wäre Hohn darauf. Umgekehrt ist meine Arbeit, die philosophische und soziologische Produk tion und das Lehren an der Universität, mir bislang so glückvoll gewesen, daß ich sie nicht in jenen Gegensatz zur Freizeit zu bringen vermöchte, den die gängige messerscharfe Einteilung von den Menschen verlangt. Allerdings bin ich dessen mir bewußt, daß ich als Bevorzugter spreche, mit dem Maß an Zufälligkeit und Schuld, das darin liegt; als einer, der die seltene Chance hatte, seine Arbeit wesentlich nach den eigenen Intentionen auszusuchen und einzurichten. Nicht zuletzt drum steht vorweg das, was ich außerhalb der umzirkelten Arbeitszeit tue, nicht in striktem Gegensatz zu jener. Würde Freizeit wirklich einmal der Zustand, in dem, was einmal Vorrecht war, allen zugute kommt – und etwas davon ist der bürgerlichen Gesellschaft im Vergleich zur feudalen gelungen –, so stellte ich sie mir nach dem Modell dessen vor, was ich an mir selbst beobachte, obwohl dies Modell in veränderten Verhältnissen seinerseits sich änderte.

    Unterstellt man einmal den Gedanken von Marx, in der bürgerlichen Gesellschaft sei die Arbeitskraft zur Ware geworden und deshalb Arbeit verdinglicht, so läuft der Ausdruck hobby auf das Paradoxon hinaus, daß jener Zustand, der sich als das Gegenteil von Verdinglichung, als Reservat unmittelbaren Lebens in einem gänzlich vermittelten Gesamtsystem versteht, seinerseits verdinglicht ward gleich der starren Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. In dieser setzen sich die Formen des nach dem Profitsystem eingerichteten gesellschaftlichen Lebens fort.

'Th.W. Adorno' 카테고리의 다른 글

Freizeit (4)  (0) 2008.08.29
Freizeit (3)  (0) 2008.08.29
Freizeit (1)  (0) 2008.08.29
Reflexionen zur Klassentheorie (IX)  (0) 2008.08.26
Reflexionen zur Klassentheorie (VIII)  (0) 2008.08.26