Th.W. Adorno

Freizeit (8)

Sur l´eau 2008. 8. 29. 07:57

Freizeit (8)

 

    Lassen Sie mich noch ein Wort sagen über das Verhältnis von Freizeit und Kulturindustrie. Über diese als Mittel von Beherrschung und Integration ist, seitdem Horkheimer und ich vor mehr als zwanzig Jahren den Begriff einführten, so viel geschrieben worden, daß ich ein spezifisches Problem herausgreifen möchte, das wir damals nicht übersehen konnten. Der Ideologiekritiker, der mit der Kulturindustrie sich abgibt, wird, ausgehend davon, daß die Standards der Kulturindustrie die eingefrorenen der alten Unterhaltung und niederen Kunst sind, zur Ansicht neigen, die Kulturindustrie beherrsche und kontrolliere tatsächlich und durchaus das Bewußtsein und Unbewußtsein derer, an die sie sich richtet und von deren Geschmack aus der liberalen Ära sie herstammt. Ohnehin ist Grund zur Annahme, daß die Produktion den Konsum wie im materiellen Lebensprozeß so auch im geistigen reguliert, zumal dort, wo sie so sehr der materiellen sich angenähert hat wie in der Kulturindustrie. Man sollte also meinen, die Kulturindustrie und ihre Konsumenten seien einander adäquat. Da aber unterdessen die Kulturindustrie total wurde, Phänomen des Immergleichen, von dem die Menschen temporär abzulenken sie verspricht, ist daran zu zweifeln, ob die Gleichung von Kulturindustrie und Konsumentenbewußtsein aufgehe. Vor ein paar Jahren haben wir im Frankfurter Institut für Sozialforschung eine Studie durchgeführt, welche diesem Problem gewidmet war. Leider mußte die Auswertung des Materials hinter dringlicheren Aufgaben zurückstehen. Immerhin läßt dessen unverbindliche Durchsicht einiges erkennen, was für das sogenannte Freizeitproblem relevant sein mag. Die Studie schloß sich an die Hochzeit der niederländischen Prinzessin Beatrix mit dem deutschen Jungdiplomaten Claus von Amsberg an. Ausgemacht sollte werden, wie die deutsche Bevölkerung auf jene Hochzeit reagierte, die, von allen Massenmedien ausgestrahlt und in den illustrierten Zeitungen endlos breitgetreten, in der Freizeit konsumiert wurde. Da die Art der Präsentation ebenso wie die Artikel, die man über das Ereignis schrieb, ihm ungewöhnliche Wichtigkeit beimaßen, erwarteten wir, daß es auch Zuschauer und Leser ebenso wichtig nähmen. Wir glaubten insbesondere, daß die heute bezeichnende Ideologie der Personalisierung wirksam werde, die darin besteht, daß man, offenbar als Kompensation der Funktionalisierung der Wirklichkeit, Einzelpersonen und private Beziehungen gegenüber dem gesellschaftlich tatsächlich Maßgebenden maßlos überschätzt. Mit aller Vorsicht möchte ich sagen, daß derlei Erwartungen zu simpel waren. Die Studie bietet geradezu einen Schulfall dafür, was kritisch-theoretisches Denken von der empirischen Sozialforschung lernen, wie es an ihr sich berichtigen kann. Symptome eines gedoppelten Bewußtseins zeichnen sich ab. Einerseits wurde das Ereignis genossen als ein Jetzt und Hier, wie es das Leben den Menschen sonst vorenthält; es sollte, mit einem beliebten Cliché der neudeutschen Sprache, »einmalig« sein. Soweit fügte die Reaktion der Betrachter dem bekannten Schema sich ein, das auch die aktuelle und womöglich politische Neuigkeit auf dem Weg über die Information in ein Konsumgut verwandelt. Wir hatten aber in unserem Interviewschema die auf unmittelbare Reaktionen zielenden Fragen zur Kontrolle durch solche ergänzt, die darauf gingen, welche politische Bedeutung nun die Befragten dem hochgespielten Ereignis beimaßen. Dabei zeigte sich, daß viele – die Repräsentanz mag auf sich beruhen – plötzlich sich ganz realistisch verhielten und die politische und gesellschaftliche Wichtigkeit desselben Ereignisses, das sie in seiner wohlpublizierten Einmaligkeit atemlos am Fernsehschirm bestaunt hatten, kritisch einschätzten. Was also die Kulturindustrie den Menschen in ihrer Freizeit vorsetzt, das wird, wenn meine Folgerung nicht zu voreilig ist, zwar konsumiert und akzeptiert, aber mit einer Art von Vorbehalt, ähnlich wie auch Naive Theaterereignisse oder Filme nicht einfach als wirklich hinnehmen. Mehr noch vielleicht: es wird nicht ganz daran geglaubt. Die Integration von Bewußtsein und Freizeit ist offenbar doch noch nicht ganz gelungen. Die realen Interessen der Einzelnen sind immer noch stark genug, um, in Grenzen, der totalen Erfassung zu widerstehen. Das würde zusammenstimmen mit der gesellschaftlichen Prognose, daß eine Gesellschaft, deren tragende Widersprüche ungemindert fortbestehen, auch im Bewußtsein nicht total integriert werden kann. Es geht nicht glatt, gerade in der Freizeit nicht, die die Menschen zwar erfaßt, aber ihrem eigenen Begriff nach sie doch nicht gänzlich erfassen kann, ohne daß es den Menschen zuviel würde. Ich verzichte darauf, die Konsequenzen auszumalen; ich meine aber, daß darin eine Chance von Mündigkeit sichtbar wird, die schließlich einmal zu ihrem Teil helfen könnte, daß Freizeit in Freiheit umspringt.

 

 

Th.W. Adorno, „Freizeit“, in: ders., Kulturkritik und Gesellschaft II, Eingriffe • Stichworte • Anhang, Gesammelte Schriften Bd. 10 • 2, Hrsg., von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1977, S. 645-655.

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