Th.W. Adorno

Reflexionen zur Klassentheorie (V)

Sur l´eau 2008. 8. 26. 17:55

Reflexionen zur Klassentheorie (V)

 

In der Marktwirtschaft war die Unwahrheit am Klassenbegriff latent: unterm Monopol ist sie so sichtbar geworden wie seine Wahrheit, das Überleben der Klassen, unsichtbar. Mit der Konkurrenz und ihrem Kampf ist auch soviel von der Einheit der Klasse verschwunden, wie als Spielregel des Kampfes, als Gemeininteresse die Konkurrenten zusammenhielt. Es wird der Bourgeoisie so leicht, dem Proletariat gegenüber ihren Klassencharakter zu verleugnen, weil in der Tat ihre Organisation die Form des Consensus der Interessengleichen abwirft, die im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert als Klasse sie konstituiert hatte, und durch unvermittelte ökonomische und politische Befehlsgewalt der Großen ersetzt, die auf dem Anhang und den Arbeitern mit der gleichen Polizeidrohung lastet, ihnen gleiche Funktion und gleiches Bedürfnis aufzwingt und damit den Arbeitern es nahezu unmöglich macht, das Klassenverhältnis zu durchschauen. Die Prognose der Theorie von den wenigen Eigentümern und der überwältigenden Masse der Besitzlosen ist erfüllt, aber anstatt daß damit das Wesen der Klassengesellschaft eklatant geworden wäre, wird es von der Massengesellschaft verzaubert, in der die Klassengesellschaft sich vollendet. Die herrschende Klasse verschwindet hinter der Konzentration des Kapitals. Diese hat eine Größe erreicht, ein Eigengewicht gewonnen, durch die das Kapital als Institution, als Ausdruck der Gesamtgesellschaft sich darstellt. Das Partikulare usurpiert vermöge der Allmacht seiner Durchsetzung das Ganze: im gesellschaftlich-totalen Aspekt des Kapitals terminiert der alte Fetischcharakter der Ware, der Beziehungen von Menschen als solche von Sachen zurückspiegelt. Zu solchen Sachen ist heute die ganze Ordnung des Daseins geworden. In ihr wird dem Proletariat mit dem freien Markt, der für die Arbeiter immer schon Lüge war, die Möglichkeit zur Klassenbildung objektiv versperrt und schließlich durch den bewußten Willen der Herrschenden im Namen des großen Ganzen, das sie selber sind, durch Maßnahmen verhindert. Die Proletarier aber müssen, wenn sie leben wollen, sich angleichen. Allenthalben drängt Selbsterhaltung übers Kollektiv zur verschworenen Clique. Zwangshaft reproduziert unten sich die Spaltung in Führer und Gefolge, die an der herrschenden Klasse selber sich vollzieht. Die Gewerkschaften werden zu Monopolen und die Funktionäre zu Banditen, die von den Zugelassenen blinden Gehorsam verlangen, die draußen terrorisieren, loyal jedoch bereit wären, den Raub mit den anderen Monopolherren zu teilen, wenn diese nur nicht vorher in offenem Faschismus die ganze Organisation in eigene Regie nehmen. Der Gang der Handlung macht der liberalen Episode ein Ende; die Dynamik von gestern bekennt sich als die erstarrte Vorzeit von heute, die anonyme Klasse als die Diktatur der selbsternannten Elite. Noch die politische Ökonomie, deren Konzeption die Theorie der liberalen grimmig vorgab, zergeht als vergänglich. Ökonomie ist ein Sonderfall der Ökonomie, des für Herrschaft präparierten Mangels. Nicht haben die Tauschgesetze zur jüngsten Herrschaft als der historisch adäquaten Form der Reproduktion der Gesamtgesellschaft auf der gegenwärtigen Stufe geführt, sondern die alte Herrschaft war in die ökonomische Apparatur zuzeiten eingegangen, um sie, einmal in voller Verfügung darüber, zu zerschlagen und sich das Leben zu erleichtern. In solcher Abschaffung der Klassen kommt die Klassenherrschaft zu sich selber. Die Geschichte ist, nach dem Bilde der letzten ökonomischen Phase, die Geschichte von Monopolen. Nach dem Bilde der manifesten Usurpation, die von den einträchtigen Führern von Kapital und Arbeit heute verübt wird, ist sie die Geschichte von Bandenkämpfen, Gangs und Rackets.

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